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zu viel reisen

INA WO(A)NDERS: Kann man zu viel reisen?

„Na endlich erwischen wir uns. Erzähl, wie war die Rückreise“? Nach der wohl reiseintensivsten Zeit meines Lebens war ein ausgiebiges Update mit meinem Bruder längst überfällig. Enthusiastisch begann ich, drauf los zu plappern. Ich hatte die besten Anekdoten meines Roadtrips von Portugal zurück nach Deutschland parat: von Wein-Nostalgie im Douro-Tal übers Tauchen in atlantischen Algenwäldern hin zu Happy Days an einem französischen Ort der Gemeinschaft. Doch gerade als meine Erzählkünste richtig in Fahrt kamen, unterbrach er mich: „Ina, ich meinte eigentlich die Rückreise aus der Karibik? Mit dem Segelboot? Du weißt schon, den Trip, vor dem sich so viele Segler fürchten?“ Ups. Stimmt. Da war ja was. Ich, die reisende Geschichtenerzählerin, die Karla Kolumna in cool, wild und abenteuerlich, geriet ins Stocken. Ganz Ina-untypisch berichtete ich, relativ knapp, von Glück mit dem Wetter und Pech mit dem Satellitentelefon. Von zwei Tagen Flaute und davon, dass wir nach 6 Tagen auf hoher See unseren Freund Egbert trafen. Fast wie früher im Deutschunterricht bemühte ich mich, mich bei meiner Zusammenfassung zumindest an den wichtigsten W-Fragen entlang zu hangeln. Was war da los?

„Reisen ist wie Wasserfarbenmalen“

Meine These: mit dem Reisen ist es ein bisschen wie mit dem Wasserfarbenmalen. Wenn man es übertreibt und zu viele Farben zusammenmischt, entsteht irgendwann so ein undefinierbares Braun-Grau – bei dessen Anblick man sich fragt, warum man ausgerechnet dafür die letzten Reste Gelb aufgebraucht hat. Mit jeder Reise überpinseln und übermalen wir die Erinnerung an bereits Erlebtes. Reisemomente, von denen wir sicher waren, dass sie sich für immer in unser Gedächtnis einbrennen, verblassen allmählich unter einer immer dicker werdenden Schicht aus Versuchen, noch Tolleres zu erleben. Das ist dann ein bisschen wie eine ausgiebige Shoppingtour, während der Kleiderschrank zu Hause aus allen Nähten platzt. Und so komme ich, die Vollzeit-Vagabundin die nirgends richtig zu Hause ist, zu der ehrlichen Schlussfolgerung: ja, man kann zu viel reisen!

Wasserfarben

Ein Plädoyer für weniger Reisen?

Das sieht unser Klima übrigens genauso: laut WWF werden rund 8 Prozent der weltweiten Treibhausgase durch Tourismus verursacht – Tendenz steigend. Aber keine Sorge, ich will niemandem das Reisen ganz ausreden – am allerwenigsten mir selbst. Allerdings möchte ich mich der Empfehlung der Journalistin und Buchautorin Maria Kapeller anschließen: lieber seltener in die Ferne reisen, dafür aber intensiver. In Ihrem Buch „Lovely Planet“ gibt Maria Anregungen dazu, wie wir mit dem Herzen reisen und dabei die Welt bewahren können und stellt sich großen Fragen: Warum reisen wir so maßlos? Welche Folgen hat das? Wie können wir umweltverträglicher reisen und dabei innerlich wachsen? Eine klare Leseempfehlung meinerseits!

Lovely Planet

Ein Tipp, damit Reisen „länger halten“

Wer nach der Lektüre von Marias Buch bereit ist, seltener zu reisen, möchte natürlich sicherstellen, dass die Reisen, die wir unternehmen, „länger halten“, uns länger erfüllen, ja nach-haltiger wirken. Damit das gelingt habe ich einen ganz ungeheimen Geheimtipp für euch: schreibt darüber! Für mich ist jeder Blogartikel über meine Besuche in unseren Good Travel Unterkünften ein Feiern des Erlebten, mit Buchstabenkonfetti und bunten Bildern. Ob bei Ignasi im Hevresac in Menorca, bei Guillaume und Antje im Convento Olhao, bei Sara und Michael auf Gut Neuwerk in der Eifel oder bei Luca in Sizilien – ich kann die Erinnerungen an diese wunderbaren Menschen und Orte immer wieder lebendig werden lassen, indem ich die Artikel nochmal lese. Hast du noch weitere Tipps, wie wir von einer Reise länger zehren können? Ich freue mich jederzeit über Feedback, Anregungen oder Fragen – gerne als Kommentar oder direkt per Mail an [email protected].

© Fotos: unsplash / Brian Mann, Fons Heijnsbroek Abstract Art, K&S Verlag Maria Kapeller

Ina ist digitale Nomadin und reist zu Wasser und zu Lande durch Europa. Dabei hält die Journalistin stets Ausschau nach besonderen Orten für Good Travel, philosophiert in ihrer Kolumne über das Reisen, fotografiert, musiziert und schreibt Artikel zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen aller Art.

2 Comments

  • Johanna Volk

    Da ich mir aus finanziellen und familiären Gründen das reisen nur selten möglich war in den letzten 15 Jahre, genieße ich es um so mehr wenn ich mal verreise und sei es nur für ein paar Tage. Auch innerhalb der deutschen Grenzen gibt es allerhand schöne Plätze und Orte zu entdecken. Dieses Jahr durfte ich mal ein bisschen den Elsass kennenlernen und es war wunderschön dort, ein Hauch von Frankreich und doch sehr deutsch/pfälzisch angehaucht von der Bauweise dort und seiner ursprünglich mal deutschen Vergangenheit. Diese Umgebung mit dem Blick auf den Schwarzwald vom Mont Odile aus gesehen war einfach herrlich. Ich speichere die Erinnerungen dadurch intensiver vermute ich mal. Aber ich erinnere mich auch sehr gerne an meine Reise nach USA Anfang der 90er Jahre mit gerade mal 20 Jahren, als ich für 5 1/2 Monate in Florida in Miami und zeitweise in Orlando lebte. Dies war ein Erlebnis was ich nie vergessen werde. Ich bin so froh das ich zumindest den Kontakt zu meiner ehemaligen amerikanische Familie und den ältesten Sohn, die ich in meinem ursprünglichen Heimatdorf im Hunsrück damals mit 15 Jahren kennengelernt hatte, da sie einen Babysitter brauchten, wiedergefunden haben über Facebook. Dann die 3 Wochen in Florenz um eigentlich Italienisch zu lernen (unter den Schülern aus aller Welt unterhielten wir uns eher in Englisch) waren mit 26 Jahren auch ein besonderes Reise-Erlebnis und diese Stadt und Umgebung möchte ich gerne mal wiedersehen. Oder das Jahr darauf 3 Wochen Sizilien war ebenfalls schön nur war es mir im August zu heiß dort von den Temperaturen her trotz das das Meer in unmittelbarer Nähe war. In jungen Jahren solange ich Single war, war das Reisen für mich Abenteuer. Heutzutage ist verreisen für mich Erholung suchen vom Alltag um mal abzuschalten und mal wieder neue Inspiration finden. Auch mal 1 Tag an den Bodensee ist immer wertvoll für mich, da wir im LK Tübingen wohnen nicht allzu weit um dorthin zu fahren und auch hier gibt es wunderschöne Ecken in meiner Gegend zwischen Alb und Schwarzwald. Das Kinzigtal im Schwarzwald ist für mich immer mal wieder jedes Jahr eine Tagesreise wert oder einfach mal zu meiner Verwandtschaft in der Freiburger Ecke. Ich sage mir man muss nicht unbedingt so weit reisen, auch wenn es mich ab und an mal juckt …irgendwann werde ich bestimmt mal wieder nach England oder Italien oder Südfrankreich reisen. Alles zu seiner Zeit und ich glaube weniger (reisen) ist mehr (Wert). Zumindest empfinde ich das so…..

  • Old Man

    Hallo Ina,

    gutes und wichtiges Thema!

    Ja, man kann zu viel von allem haben/machen, heutzutage sicher mehr denn je. Umso wichtiger ist es — wie du schreibst — die eigenen Erlebnisse zu *feiern*, sich bewusst zu halten, zu reflektieren, sich immer wieder daran zu erfreuen (jedenfalls an den positiven Erlebnissen… :)). Das gilt nicht nur fürs Reisen sondern fürs ganze Leben. Sonst rennt man da durch, atemlos und gehetzt, schlägt einen Eindruck mit dem anderen tot, aber am Ende bleibt nichts.

    Von daher ist jedes Mittel recht, um seine Erlebnisse so intensiv wahrzunehmen wie sie es verdienen, zu verinnerlichen und zu behalten. Konkret: Ich habe alle meine Reisefotos auf einem USB-Stick, der in einem Display steckt, gegenüber von meinem Lieblingssessel. Anstatt mich auf Pinterest, Instagram oder sonstwo abzulenken, schalte ich so oft es mir gefällt das Display ein, auf Random-Mode, und lasse mir meine alten und neuen Reisefotos präsentieren.

    Das ist dann immer ein ganz eigener Gefühlscocktail, alte Erinnerungen werden wach, neue brennen sich ein, Gedanken entwickeln sich, und so werden die Erlebnisse präsent, real und dauerhaft.

    Eigentlich ist das das Wichtigste: Soviele gute Erlebnisse wie möglich aus diesem Leben *mitzunehmen* — also nicht nur „abzuhaken“, sondern zu durchleben, zu verinnerlichen, und immer bei sich zu haben.

    Dein Artikel bringt das am Beispiel Reisen sehr gut auf den Punkt. Danke!

    S.

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