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Gut Neuwerk

Gut Neuwerk: Raus aufs Land!

Selbstversorgung, Familienidyll und Natur pur: 2019 kehrten Sara und Michael Niedrig dem Kölner Großstadtleben den Rücken und zogen mit ihren Kindern aufs Land. Unsere Autorin Ina hat die heutigen Good Travel-Gastgeber:innen auf Gut Neuwerk in der Eifel besucht – und fühlte sich gleich wie zuhause.

Hätte mir als Jugendliche jemand prophezeit, dass ich irgendwann mal mit einer Spur Melancholie in den Fingerspitzen einen Artikel mit dem Titel „Raus aufs Land“ schreiben und damit auch noch ausgerechnet die Eifel meinen würde – ich hätte laut gelacht. Ich bin im Hunsrück aufgewachsen und in der Eifel aufs Gymnasium gegangen. Ich weiß, was es bedeutet, wenn außer dem Schulbus niemand fährt. Habe mit dem Fahrrad bei Wind, Regen und tiefster Finsternis Freundschaften aufrechterhalten, den Führerschein als heiligen Grahl herbeigesehnt und wollte mit 18 vor allem eins: Raus aus dem Dorf, rein in die Stadt. Doch das ist lange her.

Zuhause bei Familie Niedrig

Wir sitzen am Tisch in der geräumigen Küche. Draußen hat sich eine samtige Dunkelheit über das Gut gelegt, hier drinnen ist es hell, laut und wunderbar. Im Nebenraum kräht der kleine Michel halb verärgert, halb vergnügt vor sich hin. Die dreijährige Romy kommt alle zwei Minuten aufgekratzt in die Küche gerannt und raunt Mama oder Papa irgendwas total Geheimes ins Ohr. Währenddessen breitet der fünfjährige Max neben mir seine Fußball-Sammelkarten aus. Mit seinem schwarzen Sartre-Rollkragen-Pullover, den knallroten Fußballshorts und diesem umwerfend-frechen Grinsen im Gesicht hat der Fünfjährige mein Herz im Sturm erobert. Und ich schäme mich fast schon dafür, dass ich seine Sammelkartenbegeisterung leider so gar nicht teile. Aber er findet mich trotzdem cool, weil ich, wenn ich nicht gerade hier in seiner Küche sitze, auf einem Boot wohne. Glück gehabt!

Gutshaus und Verwalterhaus mit See
Blick nach Draußen
Mit der Familienplanung keimte die Sehnsucht nach einem anderen Leben

Als sich Sara und Michael als junge Leistungssportler:innen in Köln kennengelernt hatten, gaben ihre Trainingspläne und Turniere ihnen vor, wann sie wo zu sein hatten – ihre Beziehung organisierten sie drum herum. Doch als irgendwann die Familienplanung nicht mehr nur Zukunftsmusik war, sondern Realität wurde, veränderte sich die Bereitschaft des Paares, Kompromisse einzugehen.

„Für mich kam das große Umdenken, als Sara mit Max schwanger war. Wir merkten schnell, dass an das Konzept Schwangerschaft gesellschaftliche Erwartungen geknüpft sind, mit denen wir so gar nicht gerechnet hatten. Dies ist richtig, das ist falsch, jenes darfst du essen, das aber nicht, dies musst du kaufen, und das unbedingt auch, und wenn du dein Kind nicht auf diese oder jene Art zur Welt bringst, kannst du gleich einpacken. Wir merkten beide: da passt was für uns nicht“, erzählt mir Michael. Das Paar fragte sich immer häufiger, ob eine 3-Zimmerwohnung in Köln wirklich die Umgebung sein sollte, in der sie ihre Kinder aufwachsen sehen wollten. Und begann schon bald, sich jenseits der Großstadt nach einem neuen Zuhause umzusehen.

Drei Wildwüchse auf dem Land oder: Joghurt mit Salz

Bei Kartoffeln, Salat, veganem Hack und einer köstlichen Pilzsauce erzählen mir Sara und Michael ihre Geschichte. Auf die lebensfrohen Zwischenrufe ihrer drei blonden Wildwüchse reagieren sie stets mit liebevoller Gelassenheit. Als Romy beim Nachtisch – Joghurt mit pürierter Mango – darauf besteht, einen Löffel Salz in ihr Schälchen einzurühren, darf sie das. Und sie verzieht zwar ordentlich ihr hübsches Gesichtchen, ist jedoch felsenfest davon überzeugt, dass ihr Joghurt viel besser schmeckt als unserer. Max rollt nur mit den Augen und kramt lieber wieder seine Sammelkarten hervor. Und Michel macht seinem Lönneberger`schen Vornamen alle Ehre und malt heimlich hinter dem Küchenschrank die Wand an. Hach, ich mag das hier.

Gut Neuwerk war Liebe auf den ersten Blick

Gut Neuwerk habe ich auf einem Flyer im Bioladen entdeckt. Wir hatten uns zu dem Zeitpunkt zwar schon einige Häuser auf dem Land angeschaut – nach so etwas Großem, mit Ferienwohnungen und so viel Land, hatten wir allerdings gar nicht gesucht“, erinnert sich Sara. Doch das alte Eifeler Gut aus dem 18. Jahrhundert mit seinem lichten Laubwald, dem spiegelnden See und den Wiesen am Fluss war Liebe auf den ersten Blick. Und aus dem zunächst nur vagen Gefühl, nicht mehr in der Stadt leben zu wollen, wurde ein unwiderstehlicher Sog, raus aufs Land zu ziehen.

Detailaufnahme vom See
Draußen
Blick auf den See
Das Künstleratelier

„Das Gut eröffnete uns plötzlich Möglichkeiten, die viel tiefgreifender waren als ‚nur‘ weniger Straßenlärm und mehr Grün. Unser langfristiges Ziel ist es inzwischen, hier mit unserer Familie so nachhaltig und autark wie möglich zu leben – und irgendwann nicht mehr arbeiten zu gehen, weil wir es müssen, sondern weil wir es können“, so Michael. Er ist heute im Sportmanagement tätig, Sara ist Sportjournalistin und macht nebenbei eine Ausbildung zur Heilpraktikerin.

Corona: Lieber Lockdown auf dem Land als in der Stadt

Ihre Entscheidung gegen die Stadt und für Gut Neuwerk haben Sara und Michael nie bereut. Erst recht nicht, als nur wenige Monate nach ihrem Umzug Corona unsere Welt aus den Fugen riss. „Anfangs hatten wir noch Sorge, dass nur wenige unserer Kölner Freund:innen uns hier draußen mal besuchen würden. Doch spätestens mit dem Pandemiebeginn stellte sich diese Sorge als unbegründet heraus. Was hat eine Stadt im Lockdown schon zu bieten, außer schlechter Luft? So kam es, dass ganz viele von ihnen bei uns Zuflucht gesucht haben – mitten in der Natur, mit jeder Menge Platz, jenseits der Massen“, erzählt Sara. Über die Vermietung ihrer drei Gästehäuser – dem Künstleratelier, dem Verwalterhaus und dem Gästehaus, lernt die Familie außerdem regelmäßig tolle Menschen aus aller Welt kennen, mit denen sie in der überfüllten Großstadt womöglich niemals in Kontakt gekommen wären.

Ina im Verwalterhaus
Gemütliche Atmosphäre im Schaukelstuhl
Am Klavier
Detailaufnahme Verwalterhaus
Badezimmer im Gut Neuwerk

Selbstversorgung auf Gut Neuwerk – mehr als eine Utopie

„Natürlich waren wir naiv, als wir uns für das Gut entschieden haben – uns war nicht klar, wieviel Arbeit da auf uns zukommt. Doch mithilfe unserer Familien und Freund:innen sowie dank einiger sehr kompetenter Handwerker:innen aus der Gegend hatten wir hier innerhalb von zwei Jahren unglaubliches geschafft. Saras Eltern sind ebenfalls hier miteingezogen – auch sie sind uns eine große Hilfe. Wir haben inzwischen die Ölheizung abgeschafft und mit einer Kombi-Heizung aus Stückholz und Pellets ersetzt, eine Photovoltaik-Anlage installiert, alle Gebäude mit Hanf isoliert. Unser Wasser kommt aus unserem eigenen Brunnen, unser Mobiliar ist überwiegend Second Hand – neue Hochglanz-Möbel passen weder zu dem alten Gut noch zu unserem Budget noch zu unserer Vorstellung von Nachhaltigkeit“, so Michael. Sara bewirtschaftet einen großen Garten nach Permakultur-Richtlinien und auch Hühner, Schafe, Esel und Katzen gehören inzwischen fest zur Großfamilie mit dazu.

Der Hahn im Korb
Glücklich im Schnee: Die Schafe
Schafe leben ebenfalls auf dem Gut Neuwerk

Flutkatastrophe 2021: auch Gut Neuwerk war betroffen

„Wir haben so viel dazugelernt, seit wir hier sind, uns so vieles selbst beigebracht, und gleichzeitig so viel Unterstützung und Hilfe bekommen. Doch es gibt Situationen, auf die ist man niemals vorbereitet“, sagt Michael mit belegter Stimme. Er erzählt mir von jener Nacht im Juli 2021, als nicht nur die Ahr, sondern auch die am Gut vorbeifließende Urft über die Ufer trat: „Die Flutkatastrophe hat uns Demut gelehrt – nicht nur vor der Natur, sondern auch vor den Menschen, die dieses Gut einmal gebaut haben. Aufgrund der Wassermassen müssen wir nun das Künstleratelier komplett neu sanieren.“

Doch nicht nur um Grund und Boden musste die Familie bangen. Mit letzter Kraft und nur dank der Hilfe eines Freundes aus dem Dorf konnten sie ihre Schafe aus den Fluten retten. Einige Hühner wurden weggespült und ertranken. „Auch den Hahn hatten wir zunächst für tot gehalten. Doch als wir am Morgen nach der Flut die Tür einer alten Pferdebox öffneten, hörten wir aus einer Ecke ein schwaches, klägliches Krähen. Das war eine große Erleichterung!“, erinnert sich Sara. Ihr Garten hingegen wurde samt Gewächshaus komplett zerstört. Ein herber Rückschlag – doch kein Grund zum Aufgeben.

Trotz Flutkatastrophe sprießen auf Gut Neuwerk die Ideen

„Wir haben hier auf Gut Neuwerk unser kleines Glück gefunden, und uns gehen trotz der Flutkatastrophe die Ideen, was wir noch alles machen wollen, nicht aus. Wir würden gerne lernen, unsere Schafe selbst zu scheren, und auch meine Pflanzen möchte ich in Zukunft selbst ziehen und ihr Saatgut anschließend vermehren – um weniger Müll zu produzieren und noch autarker zu sein“, erzählt Sara motiviert. Das frisch renovierte Künstleratelier hat gerade eine eigene kleine Sauna bekommen und im Gästehaus, in dem ich wohnen durfte, prasselt neuerdings ebenfalls ein gemütliches Holzfeuer.

Ich kann Saras und Michaels Entscheidung, dem Stadtleben ein kölnisches „Tschö“ zuzurufen und hier auf Gut Neuwerk neu anzufangen, vollkommen nachvollziehen. Wer die Natur respektiert und liebt, wer Ruhe und zugleich inspirierende Menschen sucht, wer gerne wandert, Rad fährt oder einfach die Seele baumeln lassen möchte und dabei ein Faible für alte Gemäuer mit Stil und Komfort hat wird hier ganz auf seine oder ihre Kosten kommen.

Meinen jugendlichen Prass aufs Landleben habe ich übrigens längst abgelegt. In Städten fühle ich mich angesichts der vielen Werbeplakate, der Lichtverschmutzung, des Lärms und der vielen Menschen unwohl und überfordert. Und komme zwar meist in Windeseile überall hin, bloß will ich dort in der Regel gar nicht sein. Auf Gut Neuwerk hingegen, in diesem herzlich-unkomplizierten Familienidyll in der Eifel, da wollte ich sein – und zwar am liebsten noch ein bisschen länger.

Vier Tipps zum Schluss

  • Anreise: Vor der Flutkatastrophe im Sommer 2021 konnte man über die Eifelstrecke zwischen Trier und Euskirchen mit der Deutschen Bahn direkt bis nach Urft fahren. Bis die Strecke wieder freigegeben werden kann, gibt es einen Schienenersatzverkehr.
  • Natur satt: Wildparks, Sommerrodeln, Kletterpark, Radfahren, Wandern – Outdoor-Fans und Naturbegeisterte finden in der direkten Umgebung von Gut Neuwerk schier unendliche Möglichkeiten, sich auszutoben oder sanft zu erholen.
  • Verpflegung: Alle Ferienwohnungen verfügen über eine gut ausgestattete Küche. Im Umkreis von 10 Kilometern gibt es Supermärkte, Discounter und einen Bioladen. Wer morgens früh genug aufsteht hat gute Chancen, im Hühnerstall das ein oder andere Frühstücksei ergattern zu können. In Kall gibt es diverse Restaurants, aber auch die Kneipe in Urft – Schneiders Eck – ist urig-eifelig. Und zum nahegelegenen Café „Em Höhnerstall“ sind es vom Gut aus nur 3 Kilometer zu Fuß.
  • Videotipp: Ihr könnt es gar nicht abwarten, bis ihr Sara und Michael selbst auf Gut Neuwerk besuchen könnt? Dann schaut euch in der ZDF-Mediathek den 37 Grad Beitrag „Unsere eigene Farm“ an und gewinnt einen Einblick in ihren Weg zur Selbstversorgung.

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Der Kater folgte mir auf Schritt und Tritt

Ina ist digitale Nomadin und reist zu Wasser und zu Lande durch Europa. Dabei hält die Journalistin stets Ausschau nach besonderen Orten für Good Travel, philosophiert in ihrer Kolumne über das Reisen, fotografiert, musiziert und schreibt Artikel zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen aller Art.

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