Eine moderne Zeitreise durch Faro
Im The Modernist im portugiesischen Faro hat unsere Autorin Ina ihre Begeisterung für moderne Architektur und Art Deco entdeckt. Angeregt durch die Gastgeber Chris und Angelique sieht sie die sonnenverwöhnte Algarve seither mit anderen Augen und entdeckt überall kleine Details und stilvolle Formen, die einen perfekten Kontrast zu den wilden Stränden Südportugals darstellen.
Als ich das Gebäude The Modernist in einer Fußgängerzone gleich in der Nähe des Hafens von Faro entdecke, begrüßt mich, noch bevor ich die Tür zum Treppenhaus aufschließe, der herrliche Duft des Buchladens im Erdgeschoss. Tief atme ich den unverwechselbaren Geruch nach Papier, Leim, Tinte und Geschichten ein. Ich lächle entzückt und bin schon jetzt gespannt, welche Geschichte ich selbst schon bald über diesen Ort erzählen werde. Im zweiten Stock schließe ich die Tür zu meinem Apartment auf. Minimalistisch, modern und stilvoll lädt mich der großzügige Raum ein, zu verschnaufen, anzukommen, mich zu sortieren.
urlaubsmodus ansCHalten im the modernist
Der rostrote Fußboden verleiht dem dezent eingerichteten Raum eine warme Atmosphäre. Kleine goldene Details wie die kopfverspiegelten Glühbirnen, die Kleiderstange und die Armaturen unterstreichen die vorherrschende Schlichtheit mehr, als dass sie pompös wirken wollen. Weiße Wände wechseln sich mit kühlem Marmor und einem schweren, moosgrünen Wandvorhang ab. Ein geflochtener Korb häng verträumt an einem Haken unter dem Wandspiegel. Für ein paar Momente genieße ich auf der Terrasse die portugiesischen Sonnenstrahlen. Ich lausche den Stimmen der unter mir vorbeiziehenden Passanten und fange ein paar Töne eines mäßig begabten Straßenmusikers ein. Mein Urlaubsmodus ist eingeschaltet.
DIE DNA DER MODERNE IST HIER MADE IN PORTUGAL
Drei Jahre lang haben Chris und Angelique das Haus mit seinen sechs Apartments renoviert, bevor sie es letztes Jahr für Besucher:innen aus aller Welt öffneten. Während so manch einer große Teile der Architektur des 20. Jahrhunderts als „Bausünden“ degradiert, haben die beiden es sich zur Aufgabe gemacht, im „The Modernist“ die dezente Eleganz, die minimalistische Funktionalität und die klaren Formen der Moderne herauszukristallisieren.
„Als wir das 1974 erbaute Haus in der Rua Dom Francisco Gomes kauften, hatte es viele Jahre leer gestanden. Statt hier nun irgendeine Mischung aus typisch portugiesischem Urlaubsflair zu imitieren, haben wir die moderne DNA des Ortes wieder zum Leben erweckt. Dabei haben wir fast ausschließlich Materialien aus Portugal verwendet und mit Menschen aus der Region um Faro zusammengearbeitet. Einige Möbel haben wir dabei speziell im Stil der modernen Architektur entwerfen und anfertigen lassen“, erzählt mir Chris. Und das sorgte für einiges Staunen, denn bisher gibt es nicht allzu viele Menschen in Portugal, die in der Architektur und dem Design des 20. Jahrhunderts etwas Besonderes sehen. Doch Chris und Angelique sind fest entschlossen, das zu ändern. Und ich bin das perfekte Versuchskaninchen.
oberflächlich betrachtet sieht man faro seine modernen facetten kaum an
Ich fühle mich ein wenig ertappt, als ich es mir auf dem Bett bequem mache und das Buch „Faro Modern Architecture Walking Tour“ aufschlage. Hierin erzählen meine Gastgeber, dass es in der Stadt etwa 500 Gebäude gibt, die der Modernen Architektur zuzuschreiben sind – so viele wie sonst nirgends in Südeuropa. Hätte mir das auf meinem Weg von der Bushaltestelle bis hierher nicht auffallen müssen? Auf den ersten Blick wirkte die Hauptstadt der Algarve mit ihren hübschen Kopfsteinpflastergassen jedenfalls nicht moderner als viele andere südeuropäische Städte, in denen ich in den letzten fünf Jahren als digitale Nomadin gestrandet bin.
im the modernist ist architektur-nachhilfe inklusive
Zum Glück bietet Chris‘ und Angeliques Buch Architekturbanaus:innen wie mir eine Hilfestellung. Ich erfahre, wonach ich Ausschau halten sollte, wenn ich die Stadt durch die Brille der Moderne betrachten möchte. Die farbenfrohen Fliesen, Azulejos genannt, die oft ganze Häuserfassaden in echte Kunstwerke verwandeln, sind mir zwar schon häufiger in Portugal aufgefallen. Während sie traditionell jedoch meist in Blautönen schillern, kam im 20. Jahrhundert mehr Farbe und Geometrie ins Spiel. Auch viele Lochziegel – sogenannte Cóbogos – wurden verbaut, die Licht und Schatten streuen und zur Belüftung beitragen. Art Deco ist eine Stilrichtung der Moderne und findet sich vor allem im Süden der Stadt. Statt mit Fließen ganze Häuserfassaden zu verkleiden, sind Art Deco Gebäude schlichter und nur punktuell geometrisch verziert. Typisch für die Stilrichtung sind außerdem Metall-Ornamente an Türen und Fenstern.
faro duch die brille der moderne: eine Entdeckungsreise
Als ich das Buch zuschlage, erfasst mich ein vorfreudiges Kribbeln. Ich kann es kaum erwarten, mein neu gewonnenes Wissen auf die Probe zu stellen. Ich schnappe mir meine Kamera, tauche ein in die Gassen Faros und merke gleich: die Sache mit der „Brille der Moderne“ hat funktioniert. Plötzlich kann ich die Spuren, die Architekten wie Manuel Gomes da Costa und Jorge de Oliveira hier hinterlassen haben, fast überall entdecken. Ein geradezu kindlicher Entdeckergeist treibt mich durch die Stadt.
Mein Blick findet noch mehr geflieste Fassaden, zerstreut sich in geometrisch perforierten Ziegelformationen, blinzelt erstaunt über schrille Farbkombinationen, fährt die symmetrischen Formen der Häuser nach. Kaum habe ich einen modernen Fund mit meiner Kamera festgehalten, schiebt sich bereits das nächste Element in mein Blickfeld. Und an jeder Straßenecke fallen mir nun die typischen Art-Deco-Schriftzüge auf, die meine kurze Zeitreise wie Untertitel in einem Film begleiten. Wer wie ich fast immer auf Reisen ist, versäumt es manchmal, ausgiebig zu staunen. Dank Chris und Angelique ist mir das in Faro nicht passiert.
© Fotos: Ina Hiester und Michael Storey
Ina Hiester
Ina ist digitale Nomadin und reist zu Wasser und zu Lande durch Europa. Dabei hält die Journalistin stets Ausschau nach besonderen Orten für Good Travel, philosophiert in ihrer Kolumne über das Reisen, fotografiert, musiziert und schreibt Artikel zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen aller Art.
Nele
Hallo Ina, danke für das Teilen deiner modernen Zeitreise durch Faro. Die Bilder sind einmalig und der Artikel ist sehr spannend aufgebaut. Mach weiter so.