Unterwegs auf Schienen: Eine Ode ans Zugfahren
428D. Es ist immer derselbe Sitzplatz, den ich mir für meine Stammstrecke Wien-Salzburg buche. Am Fenster und in Fahrtrichtung, nicht ganz hinten, aber weit genug weg von den Viererplätzen, an denen es gerne mal etwas lauter wird. Wenn man so wie ich an zwei Orten gleichzeitig lebt, dann ist man gezwungenermaßen viel am Pendeln. In meinem Fall mit dem Zug. Denn Auto habe ich keines. Glücklicherweise ist Zugfahren viel nachhaltiger und vor allem auch angenehmer. Man muss sich nicht aufs Fahren konzentrieren, kann die Zeit mit Dingen verbringen, zu denen man sonst nicht kommt (schlafen!) und erreicht den Zielort am Ende meistens entspannt und wohlerholt. Kurzum: Ich liebe Zugfahren, und das aus den unterschiedlichsten Gründen.
Zweieinhalb Stunden Pause
Seitdem ich das Klimaticket besitze (die österreichische Version des Deutschland-Tickets, mit dem man sämtliche Verkehrsmittel im ganzen Land nutzen kann – ja, auch die schnellen), bin ich mit dem Zug noch viel öfter und lieber unterwegs als zuvor. Denn wenn man sich keinerlei Gedanken rund um Ticketkauf und -preise sowie die besten Verbindungen mehr machen muss, ist die Hemmschwelle, öfter mal einen Fuß in einen Wagon zu setzen, gleich viel geringer. So ein Zug bringt mich aber nicht nur von A nach B, er bringt mich vor allem runter. Hier kann ich zweieinhalb Stunden abschalten und einfach nur sein. Denn ich gehöre zur Gattung der Menschen, die in Vehikeln sämtlicher Art nicht auf einen Screen schauen können. Laptoparbeit ist somit nicht drin, lesen meistens auch nicht. Ich verbringe meine Zugfahrten also meistens mit einem Podcast oder Musik im Ohr, aus dem Fenster schauend und über das Leben nachdenkend. „Du machst zweieinhalb Stunden einfach gar nichts?“, werde ich immer verblüfft von allen gefragt, denen ich das erzähle. Richtig, und ich würde nichts daran ändern. Denn wann hat man im Leben denn sonst schon mal die Zeit, stundenlang und ohne schlechtes Gewissen wirklich nichts zu tun?
Ein Ort der besonderen Begegnungen
Während draußen vor dem Fenster Orte mit lustig klingenden Namen wie „Redl-Zipf“ oder „Wolf in der Au“ vorbeiziehen und die Landschaft sich langsam von weitläufig-flach über hügelig-waldlastig hin zu bergig ändert, spielen sich im Inneren des Zuges im Laufe einer Fahrt umso lebendigere Szenarien ab. Obwohl ich die meiste Zeit meine Noise-Cancelling-Kopfhörer aufhabe, um dem aufkommenden Lärm im Wagon zu entkommen und „Bitte nicht ansprechen“ zu signalisieren, trete ich dennoch hin und wieder in Kontakt mit meinen Mitreisenden. So kam es, dass sich in der Vergangenheit bei einer Zugfahrt einmal ein erstes Date entwickelte, wobei ich mich mit ansonsten – vorrangig älteren Personen – über Gott und die Welt unterhielt oder Gleichgesinnte kennenlernte, mit denen ich mich über meine liebsten Hobbys austauschen konnte (man erkennt diese meist an mitgebrachtem Sport-Equipment, passender Fachlektüre oder schlichtweg am Outfit). Die Begegnungen, die man im Zug macht, sind in meinen Augen irgendwie anders, entspannter. Schließlich weiß man, dass man alle Zeit der Welt (oder zumindest bis zur nächsten Station) miteinander hat. Gespräche hier unterscheiden sich von denen auf Dating-Apps, in Bars oder auf irgendeiner kurzweiligen Veranstaltung. Nennt mich romantisch, aber Begegnungen im Zug fühlen sich für mich immer ein bisschen an, wie aus einem Wes Anderson Film gegriffen.
Nostalgie, Entschleunigung, Nachhaltigkeit
Ich bin mittlerweile sowas wie ein alter Hase im Zugbusiness. Auch wenn ich selten über die Grenzen Österreichs hinausfahre und meistens auf denselben Strecken unterwegs bin, verbringe ich in diesen ledrig-blauen und samtig-roten Sitzen eine Menge Zeit, und erlebe dementsprechend viel. Dennoch ist jede Zugfahrt anders, lehrreich und erdend. Zudem kann ich dadurch meinen CO2-Fußabdruck verringern. Zugfahren hat für mich etwas Nostalgisches (Stichwort Wes Anderson), etwas Entschleunigendes. Es ist für mich der Inbegriff von langsamem und nachhaltigem Reisen. Und so wähle ich, auch wenn ich anders vielleicht oft schneller oder sogar einfacher ans Ziel käme, immer gerne diese Art der Fortbewegung.
Kleiner Disclaimer: Ich fahre fast ausschließlich in Österreich mit dem Zug. Das Zugnetz ist hier relativ gut und zuverlässig, weswegen das Reisen auf Schienen wirklich angenehm ist.
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Nadine Pinezits
Nadine ist freiberufliche Redakteurin und Texterin. Sie lebt in Österreich und pendelt zwischen Salzburg und Wien. Sie ist somit entweder in den Bergen oder im Großstadtdschungel unterwegs, versucht aber gleichzeitig, so viel Zeit wie möglich in ihrem Herzensland Portugal zu verbringen.
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