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Digital Detox

Digital Detox und was es mit uns macht

Digital Detox ist so eine Sache, bei der wir alle wissen, dass sie uns gut tut oder gut tun würde. Dennoch vermeiden wir zumeist die digitale Ruhe. Aus Gründen. Zum einen brauchen wir Social Media in unserem beruflichen Alltag (die beste Ausrede, auch wenn die Tatsache stimmt) und zum anderen lieben wir es, online zu sein, tollen Content zu sehen, im Austausch mit anderen zu sein und uns inspirieren zu lassen. Oft ist es dennoch so, dass wir mehr Zeit online verbringen als es uns lieb ist. Und da kommt die Gewohnheit ins Spiel und ja manchmal auch eine gewisse Abhängigkeit und der automatische Griff zur App, wenn man mal kurz einen Augenblick zum Verschnaufen hat/hätte.

 

Witzigerweise haben wir als Autorinnen in unserem letzten Redaktionsmeeting festgestellt, dass wir schon alle einmal mehr oder weniger freiwillig eine gewisse Zeit auf technische Geräte verzichtet haben. Das Digital Detox passierte also teilweise geplant und teilweise ungeplant, aber lest am besten selbst was wir für Erfahrungen gemacht haben. Die unverhoffte Erfahrung war für alle durchweg positiv, zumindest im Gesamtergebnis, denn auch der Entzug von Bildschirmen aller Art kann schwer sein. Wir fragen uns, warum wir uns nicht bewusster und öfters eine Auszeit von den Medien gönnen.

Das wäre doch eine gute Idee für die bevorstehende christliche Fastenzeit, die von Fasching im Februar bis zum Osterfest geht. Wer macht mit?

Unsere Erfahrungsberichte

Cécile: Bewusst weniger Bildschirmzeit während eines Retreats

Im November letzten Jahres habe ich mich spontan in ein Retreat auf Fuerteventura eingebucht. Das Retreat hieß “Inner Power” und versprach neben Yoga, Zeit am Meer und Gemeinschaft mit anderen Frauen auch weniger Zeit am Handy zu verbringen. Dafür wurden Handyfreie Zeiten vereinbart. Abends vor dem Schlafengehen sollten wir die Handys an einen festen Platz im Wohnraum der Villa legen und dann bis zum nächsten Frühstück nicht mehr anfassen. An sich kein großes Ding. Aber man glaubt nicht, wie oft man vor dem Einschlafen dann doch noch einmal einen Blick auf sämtliche Kommunikationsapps werfen möchte. Ich genoss die freie Zeit abends sehr. Ausgiebige Gespräche ohne kurzen Blick aufs Handy. Auch die Zeit spielte keine große Rolle, man hatte nicht das Bedürfnis, ständig danach zu schauen (auf dem Bildschirm); klar, wir waren auch nicht im typischen Arbeits- und Alltagsrhythmus. Aber wir waren in jedem Fall mehr bei der Sache. Mehr bei uns. 

Ohne mit dem Handy ins Bett zu gehen, bedeutet natürlich auch, dass eine neue Weckfunktion her musste. Wir wurden jeden Morgen mit einem Gong sanft geweckt und konnten dann langsam in den Tag starten. Nicht nur war das Handy immer noch Tabu, auch den Morgen haben wir in Ruhe verbracht. Das bedeutet, dass wir bis zum Frühstück nicht miteinander gesprochen haben. Absolute Ruhe. In diesen besonderen Stunden war Zeit, eine Yogaeinheit zu machen, ans Meer zu fahren – auch hier in absoluter Ruhe – 10 Frauen in einem Fan und niemand hat ein Wort gesprochen, um dort zu meditieren, im Meer zu schwimmen oder zu spazieren. Wir haben gejournalt, gelesen um dann gute drei bis vier Stunden nach dem Aufstehen zum Frühstück das Schweigen gebrochen. Und dann durfte auch jede wieder an ihr Handy gehen.

Ich genoss die Zeit sehr. Ich fühlte mich mir näher. Weniger mit der Außenwelt verbunden. Aber ohne etwas zu vermissen. Meine Gedanken waren klarer, die Zeit verging bewusster. Manchmal schaffe ich es auch jetzt noch, morgens und abends mein Handy nicht bei mir zu haben. Aber das ist in jedem Fall eine Ausnahme. 

weniger Bildschirmzeit
Digital Detox Retreat

Nadine: Wie aus einer Challenge heraus ganz neue Motivation entstand

Beflügelt von meinem Interview mit Linda Meixner vom Offline Institut habe ich mich letzten Oktober der „Offtober“-Challenge angeschlossen und einen ganzen Monat lang auf Social Media verzichtet. Ich habe mich also 31 Tage von Instagram, LinkedIn, YouTube und Co. ferngehalten und auch auf WhatsApp nur zu festen Zeiten Nachrichten beantwortet.

Die eigentliche Challenge sieht vor, die Apps, auf denen man sonst (zu) viel Zeit verbringt, vom Handy zu deinstallieren und darauf zu verzichten. Ich habe damals sozusagen die Soft-Verison davon gemacht: Ich habe die Apps am Handy gelassen, mir das ein oder andere “erlaubt” und einfach versucht, dieses kleine Ding weniger in die Hand zu nehmen.

Wie das konkret aussah? Meinen Work-Instagram-Account habe ich mir zum Posten von Inhalten genehmigt, meinen privaten habe ich den kompletten Monat nicht benutzt. Facebook, Pinterest und LinkedIn habe ich ebenfalls komplett gemieden. Auf Youtube habe ich mir nur einzelne Videos von ein, zwei Creator:innen, denen ich dort folge, angesehen. Sinnloses Weiterschauen bei den vorgeschlagenen Videos habe ich ganz unterlassen.

Die ersten paar Tage fiel mir das alles erstaunlich leicht. Kein Handy, kein Problem, dachte ich. Ich habe klarerweise aus Gewohnheit jeden Tag zig Male zu meinem Handy gegriffen, nach einer Sekunde gecheckt, dass ich das gerade nicht “darf” und es anschließend wieder weggelegt. Das ging einige Tage so. Manchmal hatte ich Apps auch schon geöffnet, nur um sie dann ganz schnell wieder zu schließen (ähnlich wie früher, wenn man versehentlich auf die Internettaste gedrückt hat). Ich habe mit der Zeit auch Schlupflöcher gesucht. Ich darf nicht auf Social Media? Ok gut, aber die Webseite von Tageszeitung XY ist doch erlaubt, oder? Naja … Ich war schlussendlich aber streng mit mir und habe versucht, keine Ausflüchte zu suchen und meine verbannten Apps und Seiten nicht mit anderen zu ersetzen. Das wäre schließlich ganz und gar nicht zielführend gewesen.

Nach knapp einem Monat mit reduziertem Handykonsum konnte ich Folgendes feststellen:

Mir ist vieles nicht im Geringsten abgegangen (Facebook, LinkedIn) Anderes habe ich in der Zeit sehr vermisst (Pinterest und Instagram, bei Letzterem ist mir der Verzicht definitiv am schwersten gefallen, und das, obwohl die App diejenige ist, die mir mental am schlechtesten tut …)

Was hat mir das Ganze schlussendlich gebracht?

Diejenigen, die schon einmal längere Zeit auf ihr Handy verzichtet haben, berichteten von größerer Aufmerksamkeit, mehr Energie und besserem Fokus. All das habe ich die ersten Tage nicht festgestellt. Ungeduldig wie ich bin, wollte ich demnach gleich wieder hinschmeißen. Aber: Gut Ding braucht Weil! Nach einer Woche habe ich dann die ersten dieser positiven Effekte bemerkt. Ich war plötzlich für Dinge motiviert, die ich sonst nur mit viel Mühe erledigt habe (Haushalt, administrative Tasks), hatte mehr Energie, besseren Schlaf und war insgesamt einfach viel produktiver. Ich habe viel weniger prokrastiniert, bin sogar das ein oder andere Mal, wie von der Tarantel gestochen, aufgesprungen, um Dinge sofort zu erledigen. Leider bin ich nach diesem Monat offline schnell wieder in alte Muster zurückgefallen. Eine erneute Runde Digital Detox werde ich daher auf jeden Fall starten. Vielleicht sogar schon als Off-März oder Off-April. Möglicherweise kann ich die vermehrte Zeit ohne Handy dann auch über den Monat hinaus beibehalten.

Nadine offline

Geraldine: Handy verloren – Ruhe gewonnen

Wer mich kennt, weiß ich rede und kommuniziere gerne und viel. Bei meiner Rückreise aus Schottland letztes Jahr ist unter mysteriösen Umständen mein Handy zwar in die Plastikschale in die Security-Schleuse rein – aber nach dem Durchleuchten nicht mehr rausgekommen. Was zunächst zu ziemlicher Verzweiflung bei mir führte, weil a) der Abflug näher rückte und b) mir am Band keiner helfen wollte und konnte, weil es wirklich sehr voll war. Nach dem ersten Schock habe ich schon im Flugzeug überlegt, was das Blödeste daran wäre, wenn das Handy verschollen bleiben würde. Neben einer Vielzahl von persönlichen Notizen und neuen Textideen habe ich mich vor allem über mich geärgert, keine vernünftigen Backups von meinen Fotos gemacht zu haben. Zwar folgte schon am nächsten Morgen die Erleichterung, weil die Putzcrew nachts das Telefon gefunden hatte, aber es dauerte – Dank des Brexits – noch weitere zehn Tage, bis es durch den Zoll kam und wieder bei mir landete.

In diesen zehn Tagen passierten einige spannende Dinge mit mir

Zunächst musste ich vorab ganz anders meinen Tag planen und per Mail oder Festnetztelefon kommunizieren. Dafür musste ich oft über andere Plattformen erstmal Telefonnummern erfragen, weil ich natürlich keine einzige Nummer, außer meiner eigenen, noch auswendig kann. Außerdem musste ich für Verabredungen zur abgemachten Zeit am abgemachten Ort sein und hoffen, dass sowohl ich als auch die anderen pünktlich am selben Ort eintreffen. Kurzfristig verschieben ging ja nicht. Ich musste zudem vorab meine Wege mit den öffentlichen Verkehrsmitteln planen und mir alles aufschreiben, damit Anschlüsse und Richtungen stimmten. Kein Google Maps und keine App konnte mir unterwegs helfen. Einige Male habe ich auch Passanten nach der Uhrzeit gefragt, weil ich das Telefon auch als Uhr und Wecker benutze. Was oft zu lustigen Smalltalks mit Menschen über die Zeiten, als es noch kein Handy gab, führte.

Und last but not least, habe ich im Büro sehr konzentriert und (fast) ohne Ablenkung gearbeitet, was dazu führte, dass ich schneller fertig war und genug Zeit hatte, zu Fuß nach Hause oder zur Verabredung zu laufen. Dort kam ich dann meistens ziemlich entspannt und erfrischt an und hatte unterwegs genügend Zeit mich über die Menschen, die fast immer und überall nur auf ihr Handy starren, zu wundern. Nur wenige Tage später gehörte ich allerdings auch wieder dazu. Aber mit dem Unterschied, dass ich ab und zu das Telefon in den Flugmodus schalte, um in Ruhe schreiben zu können.

telefonieren wie früher

Ina: Ich bin ein digitaler Spätzünder

Als die meisten meiner Freunde bereits Smartphones und Facebook hatten, war ich noch fest davon überzeugt: das sind alles nur Hypes, die irgendwann wieder abklingen werden. So wie Tamagotchis oder Bubble Tea. Weit gefehlt! Insbesondere seit ich digitale Nomadin bin, sind das World Wide Web und die ständige digitale Erreichbarkeit für mich zur Notwendigkeit geworden. Das Internet ermöglicht es mir seit sieben Jahren, von unterwegs zu arbeiten. Und auch privat nutze ich Social Media und Co. nicht nur, um Langeweile zu vertreiben und auf dem Laufenden zu bleiben. Sondern auch, um mich in meiner stetig wechselnden Umgebung besser zurechtzufinden. 

Ab und zu auf Sendepause

Umso krasser der Kontrast, wenn ich komplett auf Sendepause gehe. Etwa 2017 während einer 40-tägigen Pilgerwanderung von Le Puy en Valais nach Pamplona. Oder 2022 während meines Digital Detox auf dem Jakobsweg von Porto nach Santiago de Compostela. Mein bisher extremstes Offline-Erlebnis hatte ich kürzlich während meiner 24-tägigen Atlantiküberquerung per Segelboot. Denn es ist etwas anderes, ob man an Land W-Lan und mobile Daten ausschaltet – mit dem Wissen, dass man sie bei Bedarf einfach wieder einschalten kann. Oder ob man tatsächlich hunderte Seemeilen von der digitalisierten Welt entfernt ist.

Reset-Button der Sinne

Jede einzige meiner digitalen Auszeiten waren kleine Türöffner zu mir und zu den Menschen in meiner unmittelbaren Nähe. Wer bin ich, wenn ich vollkommen mit mir alleine bin? Wie sieht ein Gedanke aus, den ich zu Ende denken kann, ohne abgelenkt zu werden? Wie lange dauert ein Gespräch, wenn wortwörtlich niemand dazwischenfunkt? Was sehe, rieche und höre ich, wenn ich mich ganz auf meine Umgebung konzentriere, statt meine Zeit zu verdaddeln? Ein Digital Detox ist für mich ein Reset-Button für meine Sinne. Und nicht zuletzt: ein Zeitgeschenk. Denn wenn die digitale Bildschirmzeit plötzlich von 2 Stunden auf 10 Minuten pro Tag sinkt, ist da plötzlich so viel Raum. Raum, der sich zunächst wie gähnende Leere anfühlt. Bis man ihn mit guten Gedanken, Gefühlen und Beschäftigungen füllt.

Offline auf dem Segelboot

© Fotos: Cécile, Nadine, Geradine, Ina

3 Comments

  • Nadine

    Das sind schöne Erfahrungswerte, die ich gerne auch für mich „erfahren“ möchte. Ich hatte (kurioserweise) bereits gestern eine Eingebung, dass möglicherweise meine Tablet-/Handy-Nutzung am Morgen zu einer Art Treibsand führt. Ich bin dann oft bis Mittag so gefesselt (Pinterest, Recherchen zu Dingen die mich interessieren oder auch Youtube-Videos), dass ich mich regelrecht zwingen muss, doch mal was zu tun. Mir macht das Freude bzw. es sind ja Dinge für die ich mich interessiere, von daher kann ich diese nachträgliche Lustlosigkeit und dergleichen irgendwie nicht verstehen. Gibt’s dazu eine psychologische/wissenschaftliche Erklärung?

    • Good Travel

      Liebe Nadine, danke für dein schönes Feedback und Deine spannende Reflexion. Wir kennen keine wissenschaftliche Erklärung, aber die gibt es sicherlich. Vielleicht in der Neurowissenschaft? Lass es uns gerne wissen. Liebe Grüße, dein Good Travel Team

      Liebe Grüße, Geraldine

  • DOMINIK

    Ich fand die Erfahrungsberichte sehr interessant. Ich gehöre (leider) auch zu der Sorte, die viel zu viel Zeit am Handy verbringt. Ich bin nun seit ca. 1 Woche daran dies zu ändern und hab mir ein paar Regeln auferlegt:
    -Handy verschwindet bei der Arbeit in eine Schublade und wird höchstens 1x pro Stunde rausgeholt.
    -Für Insta, YouTube und News-Apps hab ich eine Limite von 30 Minuten pro Tag eingestellt. Danach werden die Apps gesperrt und sind erst wieder am nächsten Tag verfügbar.
    -Wenn ich einen Film oder eine Serie schaue, legt ich das Handy in einen anderen Raum

    Ich muss eingestehen, dass es aktuell noch ein „durchboxen“ der Regeln ist und ich mich nicht immer wohl fühle, wenn das Handy nicht in Sichtweite ist. Ich hoffe, dass sich das bald ändern wird und es zur Normalität wird (und sich auch normal anfühlt) wenn man das Handy mal weglegt oder abstellt um sich auf etwas zu konzentrieren.

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