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Sehnsucht nach Meer

INA WO(A)NDERS: Eine Ode an das Meer

Seit sechs Jahren lebt unsere Autorin Ina die meiste Zeit des Jahres auf oder am Meer. In dieser Kolumne geht sie der Frage auf den Grund, warum das Meer trotz seiner potenziell gefährlichen, unbekannten Tiefen eine solch ungebrochene Faszination in uns auslöst.

 

Das faszinierende Meer

Als ich zwei Jahre alt war, wäre ich um ein Haar im familieneigenen Forellenteich ertrunken. Eine leuchtend bunte, rein optisch recht katastrophale, aber lebensrettungstechnisch doch sehr praktische Polyesterjacke hielt meinen kleinen Kinderkörper lange genug an der Wasseroberfläche, bis meine Helden-Mama mich entdecken, herausfischen und wiederbeleben konnte. Angeblich weigerte ich mich daraufhin jahrelang strikt, irgendwo ins offene Wasser zu gehen.

Noch heute passiert es immer wieder, dass mich plötzlich die nackte Panik packt, wenn ich beim Schwimmen den Boden unter mir nicht sehen kann. Eine ausgeprägte Angst vor tiefem Wasser wird auch als Thalassophobie bezeichnet und zählt zu den Ur-Ängsten der Menschheit. Und wenn es dagegen eine Medizin gäbe: ich würde sie nehmen. Denn spätestens seit ich das Segeln für mich entdeckt habe, liebe ich das Meer, das mir doch zugleich solche Angst macht, wie eine zweite Heimat. Aber was ist am Meer eigentlich so faszinierend?

Das Meer als Sehnsuchtsort für alle Sinne

Als ich kürzlich über 400 Seemeilen von Portugal nach Madeira segelte, hatte ich ausgiebig Gelegenheit, mir über mein ambivalentes Verhältnis zum Meer Gedanken zu machen. Ganz bewusst verzichtete ich in den drei Tagen auf hoher See aufs Lesen, Filmeschauen und Podcast-Hören, und richtete alle meine Sinne auf das blaue Nass, das da um mich herum wogte, schäumte, zischte und gluckerte. Auch wenn mir mein Herz gelegentlich in die Hose rutschte, wenn mir ein Blick auf den Kartenplotter verriet, dass gerade nicht weniger als vier Kilometer finsteres Wasser unter mir lagen, überwog einmal mehr meine Liebe und Faszination für das Meer.

 

Sonnenuntergang am Meer

Jeden Tag, jede Stunde sah es ein bisschen anders aus. Es schimmerte in verschiedenen Blautönen und reflektierte die gelegentlich durchblitzende Sonne und den Himmel, der mal wolkenverdeckt, mal strahlend blau, mal sonnenuntergangserrötet und mal sternenbespickt über mir thronte. Die Meeresluft lag mir auf der Zunge und befreite meine Atemwege von den Überresten einer hartnäckigen Sommererkältung. Ihr Salz ließ sich schon bald als winzige, funkelnde Kristalle auf meiner Haut, in meinen Haaren und auf meiner Kleidung nieder. Das Rauschen der Wellen, die mal garstig, mal sanft gegen den Rumpf des Bootes stießen, wurde zum Soundtrack einer sinnlichen Reise, die mich vom europäischen Festland weg und an neue Küsten spülte. Bei meiner Ankunft empfand ich, als ich zurück aufs offene Wasser blickte, eine bewegende Mischung aus Erleichterung, Ehrfurcht und Dankbarkeit.

 

Meer ist mehr als nur viel Wasser

Auch die Wissenschaft beschäftigt sich immer wieder mit der Frage, warum das Meer – Ur-Angst hin oder her – auf die meisten Menschen eine solch große Anziehungskraft ausübt. Weltweit entscheiden sich zwei von drei Urlaubsreisendenden Jahr für Jahr eher für einen Strandurlaub statt für einen Städtetrip oder einen Ausflug in die Berge.

 

Faszinierendes Farbspiel am Meer

Und einige Studien belegen, dass Menschen, die am Meer leben, insgesamt glücklicher und gesünder sind. Das hat jedoch nicht nur mit der salzigen Luft und dem heilsamen Wasser zu tun, die beide dafür bekannt sind, Atemwegs- und Hauterkrankungen zu lindern. Das Meer tut auch unserer Psyche gut. Der Blick auf die scheinbar unendliche Weite des Wassers wird nur gelegentlich von einem vorbeifahrenden Schiff unterbrochen und ist weder von Menschenhand zugebaut noch geformt. Das Farbspektrum des Meeres in seinen verschiedenen Blautönen lässt uns zur Ruhe kommen, löst Anspannungen und sorgt für Zufriedenheit. In diesem harmonischen Zustand sind wir kreativer und leistungsfähiger – ideale Voraussetzungen also für kreative Aktivitäten wie Schreiben, Malen und Musizieren oder für Wassersport wie Surfen, Paddeln, Schwimmen und Schnorcheln. Und schließlich hat auch das beständige Rauschen der Wellen – wahrscheinlich, weil es unserem Atemrhythmus ähnelt – einen meditativen, beruhigenden Effekt.

 

Das Meer als Klimaschützer, Sauerstoffproduzent und Wettermacher

Unsere Meere leisten allerdings noch ganz andere Dienste, die über Wellnesseffekte und Freizeitspaß hinausgehen. Sie liefern uns Nahrung, Energie und Rohstoffe und speichern als riesige Kohlenstoffsenken circa ein Drittel unserer CO2-Emissionen. Damit spielen sie eine wichtige Rolle für den Klimaschutz. Meeresalgen und Mikroorganismen produzieren außerdem rund 70 Prozent des Sauerstoffs in unserer Atmosphäre. Und schließlich ist das Meer mit seinen Strömungen und seiner Verdunstungsleistung weltweit Klimaanlage und Wettermacher Nummer eins.

 

Sehnsucht Meer

Wir dürfen uns also gerne ab und zu bewusst machen, dass ohne Meer nicht nur unsere Sommerbräune etwas weniger ausgeprägt wäre, sondern es gar kein Leben auf unserem Planeten gäbe. Danke also für deine vielen Mehrleistungen, liebes Meer – und das, obwohl du mir manchmal ganz schön Angst machst.

 

Was schätzt ihr am meisten am Meer?

Ich freue mich jederzeit über Feedback, Anregungen oder Fragen – gerne als Kommentar oder direkt per Mail an [email protected].

 

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© Fotos: Ina Hiester

Ina ist digitale Nomadin und reist zu Wasser und zu Lande durch Europa. Dabei hält die Journalistin stets Ausschau nach besonderen Orten für Good Travel, philosophiert in ihrer Kolumne über das Reisen, fotografiert, musiziert und schreibt Artikel zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen aller Art.

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