INA WO(A)NDERS: Übers alleine Reisen
„Wo geht’s denn als nächstes hin?“, werde ich oft gefragt.
„Keine Ahnung, wohin es mich verschlägt“, sage ich dann. Und fühle mich frei.
Seit März lebe ich allein in meinem kleinen mobilen Zuhause. Mein Fiat Ducato ist weiß und unauffällig, zuverlässig und brummig, ein knackiger ’96-er Jahrgang, und er heißt Theo. Manchmal hat er Durst. Manchmal muss ich ihn schonen, weil die Straßen zu rumpelig sind und die Bäume zu tief hängen. Aber er diskutiert nicht, sondern tut meistens einfach, was ich will. Und dafür liebe ich ihn – und meine frischgebackene, selbstbeschlossene Freiheit.
Trotzdem frage ich mich manchmal: ist das eigentlich ethisch moralisch vertretbar, so ganz allein zu reisen? Beim Studieren meiner Ausgaben stelle ich immer wieder fest: das hätte früher auch für zwei gereicht – und wäre damit nachhaltiger gewesen. Jetzt betanke ich nur mein eigenes schlechtes Dieselgewissen. Fahre an Orte, nur weil ich es will. Gönne mir eine Auszeit auf einer Bio-Farm in Portugal – und lebe allein in einem Tinyhouse für zwei. Nutze im Waschsalon die kleine Maschine, weil ich die große nicht vollkriege. Auch mein Essen auf dem Gaskocher köchelt genauso lange wie eh und je vor sich hin. Obwohl es doch nur noch mich satt machen muss.
Wird das Glück mehr, wenn man es teilt?
Man sagt, dass Glück das einzige sei, das mehr wird, wenn man es teilt. Und das trifft sicher auch auf Reiseglück zu. Ein Supersonnenuntergang am Strand, mit nichts anderem als dem Lieblingsmensch an der Seite und Sandkörnern zwischen den Zehen – das ist einfach magisch. Magischer jedenfalls als ein Foto, das ich anschließend in meiner Instagram-Story poste, um die Situation wenigstens mit irgendwem da draußen zu teilen. Besonders praktisch an gemeinsamen Erlebnissen ist auch, dass der oder die andere uns irgendwann später – ganz aus heiterem Himmel – daran erinnern kann. „Denkst du manchmal an diesen Supersonnenuntergang in…?“ Ein guter Anlass für ein verliebtes Lächeln im Alltag. Ganz als könnte man die Urlaubserinnerung in der Mikrowelle kurz aufwärmen, während ein kleiner Funke zwischen zwei Menschen überspringt. Großartig!
Alleinreisende sind spontaner und intuitiver
Und doch gibt es, seit ich allein unterwegs bin, auch immer wieder Momente, die ich intensiver wahrnehme als je zuvor. Meine Sinne scheinen schärfer, denn nur sie sind dafür verantwortlich, dass mir nichts entgeht. Ich folge Impulsen, noch bevor sie meinen Verstand erreichen, ganz ohne dass ich sie in Buchstaben kleide und zur Diskussion stelle. So nehme ich spontane Abzweigungen, die man mir früher womöglich ausgeredet hätte. Und lande an Orten, deren wilde Schönheit mir den Atem verschlägt. Alleine reisen ist für mich zugleich eine Art Intuitionstraining und ein „Das-bin-ich-mir-wert-Workshop“. Und wenn ich mit viel Bauchgefühl und etwas Glück einen Zauberort finde, gibt es dort keinerlei Ablenkung. Ich lasse mir Zeit und präge mir jedes Detail ganz genau ein. Außer mir wird sich niemand an diesen Moment erinnern. Es liegt an mir allein, ihn zu konservieren.
So betrachtet ist alleine reisen viel leicht doch gar nicht so un-nachhaltig. Denn je intensiver ich meine Reise erlebe, desto länger kann ich davon zehren. Wie eine gut gefüllte Vorratskammer, an der ich mich noch wochenlang bedienen kann. Oft bleibe ich viele Tage am gleichen Ort, bis der Wassertank leer und alle Momente ausgekostet sind. Bis mir meine eigenen Gedanken auf die Nerven gehen und ich mich nach Menschen sehne, mit denen ich sie teilen kann. Damit aus dem Alleinsein nicht plötzlich Einsamkeit wird.
Verreist du gerne allein oder lieber mit Partner:in oder Freund:innen? Hast du dich auf Reisen schonmal einsam gefühlt? Ich freue mich jederzeit über Feedback, Anregungen oder Fragen – gerne als Kommentar oder direkt per Mail an [email protected].
Fotos: Ina Hiester, Mediamodifier / unsplash, Wikipedia
Ina Hiester
Ina ist digitale Nomadin und reist zu Wasser und zu Lande durch Europa. Dabei hält die Journalistin stets Ausschau nach besonderen Orten für Good Travel, philosophiert in ihrer Kolumne über das Reisen, fotografiert, musiziert und schreibt Artikel zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen aller Art.
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