Fünf besondere Orte in Marseille
Fünf Mal war ich bereits in der Mittelmeerhafenstadt und würde jederzeit wieder hinreisen. Für mich ist Marseille die perfekte Kombination von inspirierender Städtereise und entspanntem Strandurlaub. Von trubeliger Großstadt und beeindruckender Natur. Marseille war 2013 europäische Kulturhauptstadt und hat die Aufmerksamkeit für sich genutzt, um als zweitgrößte Stadt Frankreichs aus dem Schatten von Paris herauszutreten. Es wurde ein sogenannter Metropolenwanderweg durch die Stadt und das Umland eröffnet, die Infrastruktur deutlich verbessert und zwei neue Museen am Hafen gebaut.
Dort wo es früher nicht ganz ungefährlich war, schaukeln heute beschaulich die Segelboote im Wind. Und ein überdimensionales, verspiegeltes Dach lädt alle Flanierenden ein, kopfüber Fotos zu schießen oder kurz im Schatten zu verweilen. Das Schönste am Reisen ist für mich das Entdecken, bei Marseille ist es das Wiedersehen. Und trotzdem suche ich bei jedem Aufenthalt nach neuen besonderen Orten – fünf davon möchte ich hier vorstellen.
1. Die strahlende Stadt
Architektonisch und kulturell hat Marseille viel zu bieten. Die 2013 neu gebaute und kürzlich wiedereröffnete „Villa Méditerranée“ und dass gleichzeitig erbaute futuristische Quader des neuen Museums „MUCEM“. Beide Gebäude liegen an einer der Altstadt vorgelagerten Landspitze zwischen dem alten Hafen (Vieux Port) und dem Industriehafen. Unweit davon das geschwungene Reederei-Hochhaus der Star-Architektin Zaha Hadid. Diese modernen Architektur-Highlights sind wahre Touristenmagnete. Mir hat jedoch ein historisches Gebäude (Unesco-Welterbe), etwas außerhalb der Innenstadt, besonders gut gefallen. Ein Hochhaus mit großartigem 360-Grad-Blick auf die angrenzenden Berge und das Meer.
Die Wohneinheit „La Cité Radieuse“ (die strahlende Stadt) wurde 1952 fertiggestellt und gilt als eines der bekanntesten Gebäude der Architekturlegende Le Corbusier (Charles-Édouard Jeanneret-Gris) und war Vorreiter für viele Wohn-Hochhäuser. Das mittlerweile etwas in die Jahre gekommene Gebäude hat achtzehn Stockwerke und über dreihundert Wohnungen. In den mittleren Etagen befindet sich die Shoppingmeile der „Cité“, die früher sowas wie ein Markplatz mit Metzgerei, Wäscherei und Supermarkt war.
Heute gibt es immer noch das „Hôtel Le Corbusier“, ein Restaurant und einen Kunstbuchladen. Auf der begehbaren Dachterrasse gab es einen Kindergarten, ein Theater und eine Sporthalle mit Outdoor-Laufstrecke. Diese öffentlichen Orte sind frei zugänglich. Um einen Blick ins Innere einer Muster-Wohnung zu erhalten, muss man sich vorab für eine Führung anmelden. Die Maisonette-Wohnungen sind meist so gebaut, dass alle Mieter das Meer und die Berge sehen können. Die für damalige Verhältnisse komfortable und moderne Ausstattung wie warmes Wasser, eine Zentralheizung und zahlreiche praktische Holz-Einbauten waren wegweisend. Eine Besichtigung lohnt sich für alle Architekturinteressierten und ist eine spannende Zeitreise in die Anfänge des sozialen Wohnungsbaus.
2. Ein Geschäft wie vor hundert Jahren
In Marseille haben sich viele junge Designer angesiedelt, deren Mode oft vom lässigen Strandleben inspiriert ist. Zudem gibt es einige schöne Einrichtungsläden mit neuen französischen Designs oder Antiquitäten. Besonders angetan hat es mir aber ein Geschäft namens „Maison Empereur“. Man könnte es salopp als Kurzwarenhandlung beschreiben, aber das würde diesem außergewöhnlichen Sammelsurium nicht annähernd gerecht werden.
In kleinen, verwinkelten und ineinander übergehenden Shops, die über drei Gebäude verteilt sind, werden unter anderem Besteck, Meterware, Geschirr, Werkzeug, Seifen und Glühbirnen verkauft. Das Geschäft wurde bereits 1827 eröffnet, ist ein Familienbetrieb und vorrangig nachhaltige Produkte wie Bastkörbe, Lavendelsäckchen, Bart-Bürsten, Keramik-Zikaden oder historisches Spielzeug. Das vielleicht bekannteste Mitbringsel ist die berühmte Seife namens „Savon de Marseille“. Diese hat, ähnlich wie Bier, ein Reinheitsgebot. Sie muss aus mindestens 72 Prozent Pflanzenöl bestehen und darf nur aus natürlichen Farb- und Zusatzstoffen sein. Es gibt sie unter anderem mit den Gerüchen Lavendel, Zitrone oder Olivenöl. So kann man sich den Geruch der Stadt mit nach Hause nehmen.
3. Ein Ausflug zum Mond
Wenn man dann doch mal genug von der quirligen Stadt hat, gibt es im Umland von Marseille unglaublich viele Ausflugsziele. Das malerische Cassis am Meer oder das mondäne Aix-en-Provence im Hinterland sind definitiv einen Tagesausflug wert. Beide Orte sind einfach und günstig mit Bus und Bahn zu erreichen.
Ebenfalls beliebt sind Schiffstouren in die sogenannten „Calanques“, kleine Fjordähnliche Buchten, die teilweise nur vom Wasser aus zugänglich sind und sich nördlich von Marseille bis Cassis über fast zwanzig Kilometer erstrecken. Weniger besucht als die „Calanques“ sind hingegen „Les Goudes“, die sowas wie der Eingang zum Nationalpark sind. Die Vegetation ist eher karg und so gleicht dieser erste Abschnitt des Parks fast einer Mondlandschaft. Dieses entlegene Stadtviertel spielt wegen seiner beeindruckenden Kulisse in zahlreichen Filmen mit – zuletzt in „Stillwater“ mit Matt Damon.
Die kleinen Fischerorte erinnern an vergangene Zeiten und es gibt einige gute Restaurants („Chez Paul“, Le petit port) und Bars (20.000 Lieus, Tuba). Mit dem Bus braucht man vom Prado-Strand aus zwanzig Minuten bis hier hin. Zurück muss man sich aber je nach Tageszeit ein Taxi rufen, denn die Busse verkehren nicht mehr am Abend.
4. Hier kocht die ganze Familie
Das Restaurant „Nestou“ liegt unweit des kleineren Stadtstrandes (Plage des Catalans) in einer ruhigen Seitenstraße und ist ein wahres Juwel. Benannt nach Ernest (Nestou), dem kleinen Sohn von Jean-Philippe und Jeanne Garbin, den Köchen und Geschäftsführern dieses netten Familien-Lokals. Sowohl mittags als auch abends kann man hier zu fairen Preisen köstliches Essen genießen.
Die Gerichte sind mediterran gepaart mit gelungenen Inspirationen aus anderen Weltküchen. Natürlich wird hier am Meer vor allem fangfrischer Fisch serviert, es gibt aber auch immer eine gute Auswahl vegetarischer Gerichte. Zum Beispiel rauchige Auberginen mit Fenchel-Confit und einer Soße aus roten Zwiebeln und eingelegten Kirschen. Während Philippe die Hauptspeisen zubereitet, ist Jeanne für die himmlischen Desserts zuständig – wie hausgemachtes Erdbeersorbet mit selbstgebackenem Mandel-Biskuit und „Crème anglaise“, einer Art Bayerische Creme oder Zabaione.
Der Gastraum erinnert an den Bug eines Schiffes und ist mit blauem Holz verkleidet und der kleine „Nestou“ macht an einem der Tische seine Hausaufgaben. Wenn dann die Sonne über dem Meer untergeht und die letzten Strahlen die draußen sitzenden Gäste streifen, sieht man in glückliche Gesichter. Nachbarn, Feinschmecker und Touristen sitzen nebeneinander und genießen dieses besondere Essen in entspannter Atmosphäre. Am späteren Abend kommen auch Gastronomen aus den umliegenden Bars noch für einen kurzen Schnack oder ein kleines Gericht vorbei.
5. Seltenes Edelweiß mitten in Marseille
Wer unweit des Bahnhofs (einmal täglich gibt es eine durchgehende Zugverbindung von Frankfurt nach Marseille) in einem typischen Marseiller Bürgerhaus in der Rue Lafayette übernachten will, ist bei Véronique Bieger genau richtig. Eine charmante Pension mit schönen Antiquitäten und feinen Fundstücken.
Doppelzimmer ab 85,- Euro pro Nacht.
© Fotos: Geraldine Voss, Florentina Kolb, Edelweiss
Geraldine Voss
Geraldine arbeitet als freie Autorin für Good Travel und hat gerade eine Ausbildung zur Nachhaltigkeitsmanagerin absolviert. Nach zwanzig spannenden Jahren beim Film, widmet sie sich jetzt hauptberuflich ihren anderen Leidenschaften – Reisen, Essen und Design.
Andrea Leuthe
Inspirierend