INA WO(A)NDERS: Übers Muscheln sammeln
Kleine, große, runde, flache, bunte, weiße: unsere Autorin Ina liebt es, Muscheln zu sammeln. In ihrer Kolumne hinterfragt sie, warum das so ist – und warum man die kleinen Schätze manchmal besser liegen lassen sollte.
So wie andere Menschen ab und zu eine Grippe bekommen, erwischt mich gelegentlich das Muschelsammelfieber. Meistens wird es angefacht, wenn mir am Strand zufällig ein besonders hübsches Exemplar vor die Füße gespült wird. Dann beginnt plötzlich eine fiebrige Schatzsuche, von der ich meist viel später als geplant mit klimpernden Taschen und schmerzendem Rücken zurückkomme. In diesem Jahr ist mir das auf den karibischen Inseln Antigua und Barbuda passiert.
Was könnte man nicht alles mit diesen Muscheln – Kunstwerke der Natur – machen …
Keine Frage: Manche Muscheln sind einfach wunderschön. Mal geriffelt, mal ganz glatt, einige winden sich wie ein Schneckenhaus, andere sehen wie ein Kamm aus. Sie tragen sinnliche Namen wie Venus- Herz- oder Rosenmuschel. Und obwohl sie so hübsch anzusehen sind, sind ihre Bewohner längst ausgezogen. Die Wellen haben sie an den Strand gespült – und jetzt komme ich ins Spiel. Denn was könnte ich nicht alles mit diesen Kunstwerken der Natur machen! Seifenschalen, Schmuck, Mosaike, Bilderrahmen, Vasen und Spiegel bekleben, ein Windspiel basteln … Während ich wie im Rausch den Strand absuche, kommen mir stets die besten Ideen.
Doch später, beim Realitätscheck, stelle ich stets betreten fest: weder ein schaukelndes Segelboot noch ein kleiner Fiat Ducato sind besonders Deko-freundliche Wohnobjekte. Sie sind viel zu klein, man hat immer viel zu viel Kram, und wo ist überhaupt diese Nylonschnur, an der ich jetzt meine Schmuckkarriere auffädeln wollte? Schatzsuche für Schatzsuche komme ich zu demselben Ergebnis: ich brauche keine Muscheln. Auch nicht die eine schöne, mit dem zartrosa Marmormuster. Und erst recht nicht die riesengroße, die bei Seegang eines Tages womöglich jemanden erschlagen wird.
Leere Muscheln können mehr sein als nur Deko
Ein Video hat mich neulich darin bestärkt, Muscheln nicht nur aus Platzgründen öfter mal liegen zu lassen. Denn es ist keinesfalls so, dass sie jenseits von Dekozwecken keine sinnvolle Funktion erfüllen. Einsiedlerkrebse etwa nutzen sie zum Schutz vor Sonne und Fressfeinden. Und weil die Krebse so schnell wachsen, sind sie quasi ständig auf Wohnungssuche. Weil sie jedoch nicht immer eine passende Muschel, dafür aber zunehmend Müll finden, ziehen immer mehr Einsiedlerkrebse in Plastikbecher und -Verschlusskappen ein. Ein guter Grund, aufs Muschelnsammeln zu verzichten.
Und dann ist da noch der psychologische Effekt. Es ist erstaunlich, wie durchs Muschelnsammeln aus einem entspannten Strandspaziergang plötzlich eine fieberhafte Schatzsuche wird. Statt den Blick verträumt übers Wasser gleiten zu lassen, die Zehen im Sand zu vergraben, tief die salzige Luft einzuatmen und dabei ordentlich Energie zu tanken, wollen wir von dieser wunderbaren Natur plötzlich ein Stück mit nach Hause nehmen. Das Haben-Wollen ist zwar völlig menschlich, trägt aber keineswegs zur Erholung bei.
Spaß, Kreativität und Meditation mit Muschelkunst am Strand
Wen das Sammelfieber trotz Platzmangel oder fehlender Bastelambitionen doch mal packt, kann sich ein Beispiel an der vierköpfigen britischen Familie Slares nehmen. Bei ihren Spaziergängen an der Nordküste von Devon sammeln sie Muscheln, bunte Steine und andere Schätze, die sie anschließend am Strand zu wunderschönen, kunstvollen Mosaiken arrangieren. Das macht Spaß, ist kreativ und hat auch etwas Meditatives zugleich. Und entzückt nicht nur ihre Follower auf Instagram (@beach4art), sondern sicher auch ahnungslose Spaziergänger, die zufällig über die Kunstwerke stolpern.
Sammelst du gerne Muscheln – und wenn ja, was machst du mit deinen Schätzen? Ich freue mich jederzeit über Feedback, Anregungen oder Fragen – gerne als Kommentar oder direkt per Mail an [email protected].
© Fotos: Ina Hiester
Ina Hiester
Ina ist digitale Nomadin und reist zu Wasser und zu Lande durch Europa. Dabei hält die Journalistin stets Ausschau nach besonderen Orten für Good Travel, philosophiert in ihrer Kolumne über das Reisen, fotografiert, musiziert und schreibt Artikel zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen aller Art.
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