Where about now? Die Antwort lautet: Casa WAN
Wie einige bereits mitbekommen haben, bin ich seit Ende letzten Jahres unterwegs auf Reisen und habe dabei die Möglichkeit, bei einigen unserer Good Travel Unterkünfte hinter die Kulissen zu blicken. Dieses Mal hat es mich nach Südtirol und der Schweiz in den Südwesten Portugals verschlagen. Wie so oft, wenn ich mir Gedanken über den nächsten Ort mache, den ich ansteuern könnte, recherchiere ich und stelle mir die zentrale Frage “Where About Now?”, wohin geht es als Nächstes? Dieses Mal fiel die Wahl also auf die Algarve und eine sehr besondere Unterkunft: die Casa WAN.
Das war die beste Entscheidung, die ich für Anfang November hätte treffen können. Milde 18 bis 20 Grad, Sonnenschein und frenetische Wellen. Gastgeberin Nadja von Buseck hat mir ein spannendes Programm zusammengestellt, um neben der Casa WAN auch die Gegend kennenzulernen und mich so direkt ihren Freund:innen und Bekannten vor Ort vorgestellt. Denn was alle gemein haben: Sie haben sich in die Kleinstadt Aljezur und Umgebung verliebt und sind geblieben, um sich zu verwirklichen, wobei es vor allem darum geht, ihre künstlerischen Talente zum Vorschein zu bringen und für die Region einzusetzen.
Die Casa WAN gibt es in dieser Form als Ferienhaus seit 2021. Nadja hat die Gegend einige Zeit zuvor per Zufall entdeckt. Auf der Suche nach den besten Wellen und einem Ort, der sie entspannen lässt, hat sie sich hier von Beginn an so wohlgefühlt, sodass schnell der Wunsch in ihr aufkam, vorwiegend Kunst im ländlichen Raum gepaart mit Hospitaltiy, sowohl für sich persönlich als auch für Gäste eine schöne Bleibe auf Zeit zu ermöglichen. Entstanden ist ein intimes Ferienhaus, das bis zu sechs Personen beherbergen kann. Zweimal im Jahr bietet Nadja Künstler:innen einen Aufenthalt an, um ihren mit Leidenschaft ausgeübten Berufen nachzugehen und diese im Anschluss präsentieren zu können. Die Artist Residencies verbinden regionale Materialien, individuelle Eindrücke sowie Talente und die bereits existierende Kunstlandschaft Aljezurs und Umgebung.
Casa WAN setzt sich aus dem Akronym “Where About Now” zusammen und bildet das Grundgerüst Nadjas Arbeit, in der sich ihre Wurzeln aus der Hotellerie mit der Komponente Kunst zusammenbringt, und hier immer wieder die Brücke zwischen Gästen und der Kunstwelt schlägt – ich durfte selbst ein Teil davon sein!
Freiheit, umgeben von wilder Natur und dem Rauschen des Meeres
In Faro gelandet, bin ich mit einem Mietauto gute anderthalb Stunden nordwestlich gefahren und habe die schöne Casa WAN in Vale de Telha erreicht. Ankommen, durchatmen und staunen. Die vielen verschiedenen Grün- und Erdtöne und dazu das Wasser des Sees. Einfach herrlich: keine direkten Nachbarhäuser, und nur sehr selten fährt ein Auto vorbei, wovon man jedoch nicht genug bekommen kann: Vogelgezwitscher, die Ruhe der Natur und eine 360-Grad-Sicht auf die wunderschöne und gleichzeitig raue Atlantikküste – vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Und ganz eindrücklich fand ich, dass man dem Rauschen des Meeres lauschen kann. So startet man direkt gut in den Tag!
Auch in den Innenräumen zieht sich eine wohlige Atmosphäre durch, umhüllt von Räucherstäbchen-Duft sind die kuratierten Vintage Möbel aus Portugal gut platziert und bilden eine tolle Symbiose mit neuen Elementen wie etwa nachhaltigen Betten von COCO-MAT. Der offene Wohnraum und die Gemeinschaftsküche mit alten Fliesen und rosafarbenen Wänden, dazu passendes Keramikgeschirr, das ebenfalls in Portugal hergestellt wird, laden zum gemütlichen Verweilen, Kochen und Genießen ein. Um das Haus herum finden sich eine Handvoll unterschiedlicher Sitz- und Liegegelegenheiten, die passend zu jeder Sonnenlage eine super Möglichkeit bieten, einfach einmal Platz zu nehmen, zu sein, ruhig zu werden und in sich zu kehren.
Aljezur: Kunsthandwerk, Surfen, Spiritualität und mehr
Rund um die Kleinstadt Aljezur ist ein Hotspot für alle entstanden, die einen entspannten und/oder aktiven Natururlaub verbringen wollen. In nur wenigen Fahrminuten sind die Strände Arrifana und Monte Clerigo erreicht und bieten nicht nur Surfer:innen viel Freude: vom Wellenschauen bis hin zu ausgiebigen Spaziergängen am Strand. Hier kommen und gehen die Gedanken im Rhythmus der Wellen.
An meinem ersten Abend war ich lecker im O Sargo essen (tolle Fusion zwischen Asiatischem und Regionalem) und traf eine der ersten Spirituellen des Ortes, eine Aura-Leserin, die bereits in der 1980er-Jahren nach Aljezur auswanderte. Seither haben es ihr viele gleichgetan und die Gegend mit immer mehr Leben gefüllt, und auch mit immer mehr spirituellen Praktiken und Anlaufstellen. Ich sah Menschen am Strand meditieren, Yoga oder Qi-Gong praktizieren und natürlich zahlreiche Surfende, die sich den Wellen hingaben. Dazwischen genießt man lokales Essen, frischen Fisch und knackiges Gemüse.
Aljezur bietet eine urbane Struktur trotz Kleinstadt-Feeling, sodass niemand auf seinen Hafer-Cappuccino oder einen Matcha Latte (unbedingt im Café KOYO vorbeischauen) verzichten muss und gleichzeitig nicht das Gefühl hat, aufgrund des Wenigen, was es zu entdecken gibt, etwas zu verpassen – “wenig” im Vergleich zu einer Großstadt wie Berlin – einfach ausgeglichener, ruhiger, entspannter und sich auf sich konzentrieren kann. Samstags treffen sich alle am Wochenmarkt und versorgen sich dort mit Frischem, Saisonalen und Regionalen. Wunderbar, um sich für die Casa WAN auszustatten und damit tagtäglich eine Freude an leckeren Lebensmitteln zu haben.
Traditionelle Korbflechttechniken im Atelier Balancê
Seit 2020 bringt Ysaline Ophoff im Atelier Balancê das zum Ausdruck, was sie seit Jahren bewegt: Handwerkskunst und Korbfleichttechniken. Die gebürtige Belgierin studierte zunächst Architektur, bevor es sie in den brasilianischen Amazonas verschlagen hat. Dort tauchte sie in die traditionellen Korbflechttechniken ein und will das immaterielle Kulturerbe heute in ihrer liebevollen Arbeit aufwerten und bewahren – und zwar in Aljezur. Die verschiedenen skulpturalen Produkte, die dabei entstehen, sind eine Kollektion aus Körben, Lampenschirmen und Vasen. Sie entstehen aus gefundenen Materialien wie Naturfasern oder ausrangierten Stoffen oder Seilen sowie Ysalines Kreativität. Yseline kann man zudem im Vintage Laden RetroActivo antreffen, in welchem sie aushilft. Dort findet man auf zwei Etagen gut ausgesuchte Kleidung für Frauen und Männer sowie Möbelstücke.
Auf einen Besuch in der Casa Mãe in Lagos
Wer einen kleinen Ausflug machen möchte, fährt nach Lagos und genießt dort im Casa Mãe Besonderes. Das Fünf-Sterne-Hotel im Herzen der Stadt ist eine ruhige und regenerative Oase, die neben Zimmern ein eigenes Restaurant führt. Hier kommt das Farm-to-table-Prinzip zum Einsatz. Ein Großteil des Obst und Gemüse, das auf den Tellern landet, kommt aus dem 6.000 Quadratmeter großen Garten und die Eier von den 200 eigenen Hühnern. Ein großzügiger Concept Store rundet das Angebot ab, hier können (nachhaltige) Mode-, Schmuck- und Lifestylelabels entdeckt werden.
Wie regionale Botschaften über verschiedene Medien transportiert werden
Vera Abreu und Carlos Santos sind ein wahres Künstlerduo, das sich seit einigen Jahrzehnten mit Film und Kunst auseinandersetzt. Obwohl beide künstlerisch aktiv sind, gehen sie doch jeweils anderen Disziplinen nach und verbinden so dennoch eine gemeinsame Liebe zur Natur und den Geschichten vor Ort. Sie kamen in den 1980er Jahren in den Süden Portugals und entdeckten ihre Leidenschaft für Kreatives für sich.
Carlos arbeitet mit Holz und anderen Materialien, die er an der Küste findet und kreiert daraus Skulpturen der besonderen Art. Eine jede erzählt eine eigene Geschichte bzw. verkörpert eine Figur, wie beispielsweise Martin Heidegger oder Ludwig Wittgenstein. Darüber hinaus arbeitet er an einer Leinwand-Serie aus acht Bildern, die so wenig Formen und Komplexität wie möglich zeigen. Dabei spielt er mit Formen und Farben. Vermitteln möchte Carlos dabei, was das portugiesische Wort “Rasgão” am besten zum Ausdruck bringt, ein Auseinanderreißen dessen, was es bedarf, um das Wesentliche sehen zu können. Das Atelier von Carlos in der Altstadt Aljezurs ist in jedem Fall einen Besuch wert.
Vera ist eine mitreißende Frau voller Elan und Schöpfergeist. Sie erstellt Filme, die beispielsweise die Fischersiedlung in der Bucht von Arrifana und die ersten Fischer vorstellen und darstellen, wie sich das Leben dort durch den Tourismus verändert hat – mit all den Vor- und Nachteilen, die ein Wandel mit sich bringt. Das neueste Projekt ihres Filmkollektiv Avonde sind Kurzfilme, die sich mit dem Thema Wasser beschäftigen. Denn auch in Portugal ist Süßwasser knapp und richtiges Haushalten ist gefragt. Der provokative Kurzfilm zeigt eine Frau, die sich mit wenig Wasser sparsam wäscht, während um sie herum der gepflegte Rasen eines Golfplatzes bewässert wird.
Ein kunstvoller Abend in der Nova Nova Galerie
Nadja und ich waren Teil eines besonderen Events namens “ORLA” in der Nova Nova Galerie in Odeceixe, welches eine künstlerische und gastronomische Reise entlang der Vicentinischen Küste vereinte. Der Galerist Gregor Marter versammelte an diesem Abend in Zusammenarbeit mit itinerART neben dem ausstellenden portugiesischen Künstler Afonso Arenga Matias, die Köchin und Food Artist Maria Gonzalez sowie Gäste, die an zwei Tafeln saßen. Das servierte Fünf-Gänge-Menü bestand aus einer Eigenkreation Marias, die in jedem Gericht auf den Künstler und seine Werke aus gemahlenen Metallplatten, welche die berühmten Felsen der Westalgarve wiederspiegeln, eingegangen sind. So entstanden Kombinationen wie Nori-Algen-Butter, die flambiert wurde, eine Empanada aus Filoteig, die für die Algarve neu interpretiert wurde und als vegetarische Version mit Kürbis- und Haselnusspastete gefüllt war. Eine der Gäste, eine ältere, adrette Dame des Dorfes, hat spontan Fado gesungen und so dem Abend neben allem, was ohnehin wunderbar war, einen perfekten Abschluss gegeben. Maria Gonzalez können Gäste der Casa WAN zudem für einen Abend engagieren, bei dem sie dann für alle kocht.
Saisonale Blumen-Kunst von Laura Hurst
Ich durfte das Atelier von Laura Hurst besuchen, einer Floristin und Landwirtin. Wobei diese Berufsbeschreibungen ehrlich gesagt nicht an das kommt, was Laura eigentlich macht. Für mich ist es pure Kunst. Kunst auf Zeit, denn die Blumen halten nicht ewig, auch wenn sich Laura bewusst für getrocknete Blumen entschieden hat. Die gebürtige Amerikanerin hat es nach Portugal verschlagen und so auch ihre Liebe für Blumen und Sträucher aller Art. Zuvor hat sie unter anderem in New York für Events Blumendesign installiert. In Portugal stellte sie fest, dass nicht nur die Jahreszeiten anders funktionieren und so das Wachsen der Blumen, sondern auch, dass es dort ganz andere Blumenarten gibt. Laura liebt die verschiedenen Jahreszeiten und die entsprechende Flora, die sie für ihre Projekte gewinnen kann. Lauras saisonale, einzigartige und elegant schöne Bouquets aus getrockneten (Wild-)Blumen können Gäste Aljezurs als auch Hotels und Restaurants erwerben und sich bei jedem Anblick über die Ästhetik und Philosophie dahinter freuen.
Für mich ist Aljezur ein fabelhafter Ort, um Aktivitäten in der Natur mit Kunst und Nachhaltigkeit zu verbinden. Ein magischer Ort, um zu sich zu kommen und sich auf verschiedene Begegnungen einzulassen, indem man gezielt die vorgestellten Kreativen besucht oder sich einfach auf das Geschehen einlässt. Die Casa WAN habe ich hoffentlich nicht zum letzten Mal besucht und kann allen nur empfehlen, einmal bei Nadja vorbeizuschauen, ein paar Tage zu bleiben und es sich an einem sonnigen Plätzchen auf der Terrasse gemütlich zu machen.
© Fotos: Cécile Meier
Cécile Meier
Cécile ist freie Autorin und Nachhaltigkeitsstrategin. Sie genießt das Reisen in vollen Zügen: Verschiedene Kulturen kennenzulernen, anderen Sprachen zu lauschen und dabei entweder am Meer oder in einer (Groß-)Stadt Neues zu entdecken, fasziniert sie immer wieder. Besonders liegen ihr die Geschichten und Intentionen der Good Travel Gastgeber:innen am Herzen.
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