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Bewusst Reisen

Bewusster reisen: Warum ich statt Fotos jetzt Momente sammle

Die Sonne geht gerade hinter den Bergen unter. Ich versuche mit meiner Kamera die letzten Strahlen einzufangen, die so wundervolles Licht auf die schneebedeckten Gipfel werfen. Nebenbei filme ich noch schnell ein Video mit meinem Handy. Zack. Da ist sie auch schon weg, die Sonne. Das ging jetzt ganz schön schnell. Während ich meine Kamera im Rucksack verstaue, merke ich, dass ich diesen Sonnenuntergang nur durch die Linse beziehungsweise den Bildschirm erlebt habe. Richtig genossen habe ich ihn nicht.

Kein Einzelfall. In den letzten Jahren passierte es mir häufig, dass ich mich beim Reisen auf das Festhalten von allem, was rund um mich so geschah, fokussierte. Ich hatte ständig die Kamera in der Hand, knipste dasselbe Motiv zum zehnten Mal, weil der Winkel noch nicht ganz stimmte oder der ISO zu niedrig eingestellt war und nicht selten sagte ich zu meiner Begleitung „Mach doch bitte noch ein Foto von mir, dieses Mal aber weiter von links“. Im Hinterkopf immer der Gedanke „Cool, das kann ich auf Instagram posten“. Was ich erst viel später realisierte: Die erlebten Momente gingen dabei völlig verloren, und Spoiler: Sie kommen auch nicht wieder.

ich sehe mir diese festgehaltenen Erinnerungen gerne an und auch das Fotografieren und die Kreativität, die da hineinfließt, bereiten mir Freude.

Ich will damit nicht sagen, dass Fotos und Videos von Erlebnissen nicht schön sind. Im Gegenteil, ich sehe mir diese festgehaltenen Erinnerungen gerne an und auch das Fotografieren und die Kreativität, die da hineinfließt, bereiten mir Freude. Es geht also nicht um das ‚was‘, sondern das ‚wie‘. Und das hat für mich einfach nicht mehr gestimmt. Ich bin daher dazu übergegangen, meine Reisen anders festzuhalten. Auf eine Art und Weise, die mir nicht die wertvollen Momente nimmt, sondern sie mich sogar noch intensiver fühlen lässt und viel echter einfängt, als ein Instagram-Reel das je tun könnte.

Was das konkret heißt? Statt Handy und DSLR findet sich jetzt meine Polaroidkamera im Gepäck. Denn diese Kamera zwingt mich nicht dazu, mir über Kleinigkeiten Gedanken zu machen und mit jedem Abdrücken zu versuchen, das Motiv noch perfekter einzufangen. Sie hält jeden Moment genauso fest, wie er nun mal ist. Manchmal unscharf, manchmal zu dunkel, aber echt. Mit meinem Tagebuch, das ich jetzt immer dabeihabe, ist es ähnlich. Hier schreibe ich meine Gedanken ungefiltert nieder, nehme mir Zeit, eine Situation zu genießen, zu analysieren und zu verinnerlichen.

bewusst Reisen

Regeln? Habe ich beim Schreiben keine. Ich halte nichts von festgelegten Journaling-Abläufen und poetisch ausformulierten Satzkonstruktionen. Ich schreibe das auf, was ich sehe. Das, was ich fühle. Das, was den Moment, den ich gerade erlebe, am besten beschreibt. Ob diese Worte immer Sinn machen? Nein, aber darum geht es auch nicht. Es geht ums Innehalten, darum, die Situation bewusst wahrzunehmen und vielleicht auch schon zu verarbeiten. Manchmal zeichne ich auch etwas, Büchlein und Stift sind ja dabei. Oder ich klebe das Ticket vom Museum oder der Fährenfahrt ein – genauso wie ich das früher als Teenager mit Kinokarten und Festivalbändchen gemacht habe. Diese Vorgehensweisen sind keineswegs neu und auch nicht übertrieben kreativ, aber sie funktionieren. Zumindest für mich.

Bewusster reisen kommt nicht nur bei mir gut an

Als ich meinen Follower:innen auf Instagram mitteile, dass ich in Zukunft nicht mehr so viel teilen werde und meine Ausflüge offline genießen möchte, ernte ich Lob und Zuspruch. Es wird mir gesagt, dass das ein mutiger Schritt sei. Doch ist er das wirklich? Hat der Schritt zu mehr Achtsamkeit und einem bewussteren Erleben wirklich etwas mit Mut zu tun, oder sind wir nur schon so festgefahren in dieser schnelllebigen Welt, in der wir alles festhalten, alles teilen, dass die Entscheidung, genau das nicht zu tun, bereits als mutig gilt?

Wie siehst du das? Hältst du auf Reisen alles fest oder genießt du lieber offline? Oder hast du vielleicht sogar eine andere Lösung gefunden als ich, die beides möglich macht? Ich freue mich über Feedback, Anregungen oder Fragen – gerne als Kommentar oder direkt per Mail an [email protected]

Fotos: Nadine Pinezits

Nadine ist freiberufliche Redakteurin und Texterin. Sie lebt in Österreich und pendelt zwischen Salzburg und Wien. Sie ist somit entweder in den Bergen oder im Großstadtdschungel unterwegs, versucht aber gleichzeitig, so viel Zeit wie möglich in ihrem Herzensland Portugal zu verbringen.

7 Comments

  • Kai

    Wow! Genauso geht es mir auch! Wenn ich an neuen Orten bin laden bei mir pro Tag 40-50 Fotos in der Cloud! Und genau, man genießt überhaupt nichts mehr! Bei mir entwickelt dann richtiger Stress! Ich werde mich nun auch bemühen nur noch 2-3 Bilder pro Tag zu machen. Ich bin als Kind sogar mit 24 Bildern ausgekommen und das wusste man das Ergebnis erst nach 1-2 Wochen. War irgendwie aber auch total spannend!

    • Nadine
      Nadine Pinezits

      Lieber Kai,

      vielen lieben Dank für deinen Kommentar!

      Ja genau diesen Stress hatte ich auch – bis ich mir dann dachte „Jetzt reicht’s“. Denn Reisen soll uns ja bereichern, uns erden und nicht stressen. Ich finde dein Vorhaben deshalb super und wünsch dir viel Erfolg dabei!

      Und du sagst es: Nicht zu wissen, was man da fotografiert hat und sich im Nachhinein überraschen lassen, ist auch super schön und spannend.

      Ich wünsche dir für deine nächste Reise viele tolle Offline-Momente!

      Liebe Grüße,
      Nadine

  • Suse

    Liebe Nadine,

    wenn ich im Urlaub bin schalte ich mein Handy auf Flugzeugmodus und genieße die Momente, die ich sehe und wahrnehme mit meinen Augen und Ohren. Und erst dann fotografiere ich diesen Moment, wenn er für mich wichtig ist. Denn nicht jeder Moment und Augenblick wird von Bildern so wiedergegeben ,wie man ihn wahrnimmt. Erst wenn mein Urlaub beendet ist schalte ich den Flugzeugmodus wieder aus. Denn früher wurden auch nur Postkarten geschrieben und sich später mit Freunden oder Familie getroffen, um den Urlaub mit Bildern und Erinnerungen zu teilen. Das ist heute nicht mehr so, weil immer alles bei Instagram, im Status oder bei Facebook gleich geteilt wird. Man hat sich dadurch nichts mehr zu erzählen. Deine Geschichte und deine Erfahrungen gefallen mir gut. Man sollte sich wieder mehr auf den Moment und den Augenblick konzentrieren und nicht darauf, was andere wollen und denken.

    • Nadine
      Nadine Pinezits

      Liebe Susann,

      vielen lieben Dank für deine Nachricht!

      Du hast völlig recht, nicht jeder Moment kann in Bildern so eingefangen werden, wie er tatsächlich ist. Ich hatte gerade erst gestern auf dem Heimweg von Budapest so einen Moment: ein wunderschöner Sonnenuntergang, diese zufriedene Stimmung, die man nach einer Reise hat und das leise Rattern des Reisebusses auf den holprigen Straßen. Ich habs einfach genossen, denn ein Foto oder Video hätte das niemals festhalten können.

      Zu deinem Punkt, mit dem „man hat sich nichts mehr zu erzählen“: Sehe ich auch so. Man weiß vieles schon aus den Storys und Status-Updates, dass man sich beim Treffen dann nicht mehr so viel zu berichten hat. Postkarten schicke ich nach wie vor an ausgewählte Personen und andersrum freue ich mich auch immer, wenn ich welche bekomme!

      Ich wünsche dir auf jeden Fall eine schöne Offline-Zeit auf deiner nächsten Reise – wo auch immer sie hingehen mag.

      Liebe Grüße,
      Nadine

  • Wenke

    Mir geht’s genauso. 🙂 Ich versuche mittlerweile meine Kamera oder Handy als „Verstärker“ zu nutzen. Mich bewusst mit dem Motiv auseinander zusetzen. Aber trotzdem den Moment zu genießen. Und dann (nur) ein, zwei Fotos zu machen. Ich habe Familie und Freunde, die ich nicht häufig sehe. Und es ist immer schön, Momente trotzdem so zu teilen. Aber eben nicht 1.000, sondern einige besondere. So der Plan. 😀

    • Nadine
      Nadine Pinezits

      Ich find’s auch nach wie vor wichtig und schön, gewisse Momente festzuhalten und mit den Liebsten zu teilen, da stimme ich dir zu. Aber wie du sagst, sollte man es bewusster machen und ausgewählte Dinge teilen. Ich denke, es hier ist wie mit allem im Leben: Die Dosis macht das Gift 🙂

      Viel Spaß auf deinen weiteren Reisen!

      Liebe Grüße,
      Nadine

  • Catherine Le

    oh, now I realize why I am always depressed during the trips. I am a solo traveler, who takes a lot of photos all the time for my travel blog and forgets to enjoy the real moments. I am gonna skip this practice.

    Thanks, Nadine Pinezits. You saved me

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