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Heimkommen

INA WO(A)NDERS: über das Heimkommen

„Kommst du an Weihnachten heim?“ Bevor ich Vollzeit-Reisende war, existierte diese Frage in meiner Welt nicht. Weihnachten und Heimkommen, das waren zwei fest verklebte Puzzleteile, ähnlich wie Silvester und Raclette. Doch auf Reisen löst sich so ein Kleber schon mal und die Puzzleteile geraten durcheinander.

Kein Wunder: In Spanien, wo ich gerade diese Kolumne schreibe, dreht sich an Silvester alles um Weintrauben statt um käsetriefende Pfännchen. Und auch das glühweinige, glitzernde und plätzchenreiche Heimkommen zum Weihnachtsfest ist spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Und dennoch hat Heimkommen für mich, egal zu welcher Jahreszeit, immer etwas Erleuchtendes. Eine Art Erkenntnisprozess, der sich auf drei Ebenen vollzieht.

Ebene eins: Altes feiern.

Das große Bett mit der kuschligen Waschbär-Biber-Bettwäsche, das in den nächsten Tagen und Nächten nur mir allein gehören wird. Das Klavier, das mir immer wieder verzeiht, dass ich mich nur noch an eine Handvoll Lieder erinnern kann, mit denen ich es zum Leben erwecke. Der Kamin, die Katze und der Schaukelstuhl: ein vollendetes Trio wärmender, schnurrender und wiegender Glücksseligkeit. Die braune Fließhose, die eigentlich so gar nicht geht – außer halt daheim, im Kreise meiner Lieben. Unser bezaubernder Garten, die Felder, Wiesen und Wälder und der Bach, der muntere Kindheitserinnerungen an mir vorüberspült. Auf Ebene eins stimmt mich das Alte, Heimelige und Wunderbare besonders milde und unglaublich dankbar.

Piano

Ebene zwei: Altes überdenken.

Jedes Mal, wenn ich mein Zimmer im Erdgeschoss meines Elternhauses betrete, fällt mein Blick auf Zeug. Zeug, das ich monatelang nicht gebraucht und erst recht nicht vermisst habe. Ordnerweise blickt mir mein Studium unter einer dicken Staubschicht entgegen. Im Regal tummeln sich neben J.K. Rowlings Zauberbüchern zerfledderte Reclam-Hefte und längst vergessene Romane. Und im Kleiderschrank stapeln sich Klamotten, die ich vor Jahren mal unbedingt haben wollte. In einem Leben, als Shoppen noch ein Hobby war und außerhalb von Bootszubehörgeschäften stattfand. Auf Ebene zwei markiert Heimkommen den idealen Zeitpunkt, den Besitz einiger Dinge infrage zu stellen – und gerne auch aufzugeben.

Bücherregal

Heimkommen markiert den idealen Zeitpunkt, den Besitz einiger Dinge infrage zu stellen – und gerne auch aufzugeben.

Ebene drei: Neues feiern.

Die angesammelten Briefe auf meinem Schreibtisch haben meistens irgendwas mit Erledigen und Abheften zu tun. Sie sind adressiert an eine Person, die brav ihre Steuern zahlt, Rechnungen niemals absichtlich zu begleichen vergisst und auch sonst bürokratisch recht unauffällig daherkommt. Doch wann immer ich heimkomme, spüre ich, dass ich wieder ein Stückchen mehr bin als nur die Adressatin dieser Briefe. Weil reisen mich verändert, mich mutiger, achtsamer und häppchenweise glücklich macht. Es schließt mich auf für Neues, Fremdes und Ungewohntes. Und hinterlässt nicht nur Salz auf meiner Haut, sondern Spuren auf meinem Herzen.

 

Vielleicht ist das Heimkommen sogar einer der wichtigsten Momente einer Reise. Denn dabei zeigt sich innerhalb kurzer Zeit, ob wir nur einen Urlaub abhaken, den man halt macht, weil laut Arbeitsvertrag 30 Tage dafür vorgesehen sind. Oder ob wir unserer Reise erlauben, uns dabei zu helfen, Abstand zu gewinnen. Damit wir daheim feiern, überdenken und loslassen können.

Welche Gedanken gehen dir beim Heimkommen durch den Kopf? Ganz gleich ob nach einem verlängerten Wochenende in einer fremden Stadt, einem ausgedehnten Wanderurlaub in den Bergen, oder einer sonnenwarmen Segelauszeit auf einem Boot? Ich freue mich jederzeit über Feedback, Anregungen oder Fragen – gerne als Kommentar oder direkt per Mail an [email protected].

Heimkommen

Fotos: Pexels / Cottonbro Studio, Huỳnh-Dạt, Wendy Wei

Ina ist digitale Nomadin und reist zu Wasser und zu Lande durch Europa. Dabei hält die Journalistin stets Ausschau nach besonderen Orten für Good Travel, philosophiert in ihrer Kolumne über das Reisen, fotografiert, musiziert und schreibt Artikel zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen aller Art.

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