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INA WO(A)NDERS: Über Camping

„Ina geht mit dir zelten, das wird bestimmt toll!“ Als meine Mutter meinem Neffen letzten Sommer diese frohe Botschaft verkündete, zuckte ich unwillkürlich zusammen. Als Abenteuer-Tante, die abwechselnd im Van oder auf einem Segelboot lebt, hatte ich in meiner Familie offenbar Erwartungen geweckt, die dringend einem Realitäts-Check unterzogen werden mussten. Das letzte Mal, dass ich in einem Zelt geschlafen hatte, lag lange zurück. Erinnerungen an ein Hippie-Festival im Hunsrück ploppten auf. Ich war 18 und unser Zelt nutzten wir damals für alles Mögliche, aber nicht zum Schlafen. Das war kein camping – aber toll, wie man das damals einfach wegsteckte. Allerdings ist das inzwischen fast 20 Jahre her. Der Blick in die leuchtenden Augen meines Neffen ließ mich dennoch weich werden – und meinen Ruf als Abenteuer-Tante wollte ich auch nicht ruinieren. Also würden wir campen gehen. Ganz klassisch: mit Zelt, Schlafsack, Isomatte und gemischten Gefühlen.

Camping: günstige Nähe zur Natur

Früher war Camping vor allem eine günstige Urlaubsvariante, heute gibt es für jedes Budget und jedes Komfortbedürfnis die unterschiedlichsten Angebote. Ob im Luxuswohnmobil oder im Bulli mit improvisierter Matratze, ob beim glamourösen Glamping im Beduinenzelt oder inmitten der Elemente direkt unterm Sternenhimmel: Camping liegt im Trend. Aber warum? Viele schwärmen von der Nähe zur Natur. Und tatsächlich: Natur tut uns gut. Schon ihr Anblick senkt in unserem Körper nachweislich das Angst- und Stresshormon Cortisol. Doch für manche steigt der Cortisol-Spiegel beim Gedanken an Mückenplagen, leere Akkus, Krabbeltiere im Zelt und improvisierte Toilettenbesuche gleich wieder an. Warum tun wir uns das an?

Wasser

Im Zelt mit der Maslowschen Bedürfnispyramide

Als ich abends schließlich neben meinem Neffen im Zelt lag, konnte ich stundenlang nicht einschlafen. Eine gute Gelegenheit, über den Campinghype nachzudenken. Ich kramte die Bedürfnispyramide des amerikanischen Psychologen Abraham Maslow aus meinem Gedächtnis. Ganz unten stehen hier die physiologischen Bedürfnisse wie Wasser, Nahrung und Schlaf. Gut, das mit dem Schlafen lief gerade nicht so prickelnd, aber ansonsten waren wir dank Mamas großzügigem Fresspaket bestens versorgt. Auf der zweiten Ebene sind die Sicherheitsbedürfnisse. Skeptisch dachte ich an die sieben Heringe, die unser Zelt am Bachufer im Boden verhakten und an die dünne Zeltplane, die uns vor Wind und Wetter schützen sollte. Ebene drei: soziale Bedürfnisse. Lächelnd spähte ich zu meinem schlummernden Neffen. Und katapultierte mich gleich noch eine Stufe höher – denn natürlich hoffte ich, durch unsere Zelt-Aktion seine Anerkennung und Wertschätzung zu gewinnen. Die Spitze der Pyramide: Selbstverwirklichung. Doch bei diesem Gedanken klickte es gar nicht in mir. Und vielleicht ist genau das der Clou beim Camping.

Beim Campen zelebrieren wir unsere Grundbedürfnisse

Maslow behauptete, dass wir die Bedürfnispyramide von unten nach oben hochklettern. Erst wenn unsere Grundbedürfnisse gedeckt sind, werden Bedürfnisse aus der nächst höheren Ebene wichtig. Beim Camping verbringen wir jedoch sehr viel Zeit mit Tätigkeiten an der Basis. Wir schleppen Wasser von A nach B, bereiten mühsam Essen zu und überlegen, wie wir unsere Vorräte lagern können damit sie nicht in der Hitze verderben oder von Krabbelviechern infiltriert werden. Auch die Wahl des perfekten Zeltstandorts kann viele Stunden in Anspruch nehmen. Genauso wie das nächtliche Hadern, bis man sich schließlich doch traut, die Sicherheit des Zelts hinter sich zu lassen um endlich pinkeln zu gehen. Umso zufriedener sind wir, wenn alles einigermaßen funktioniert. Ein auf dem Gaskocher gebrauter Kaffee schmeckt dann sogar besser als der Coffee-to-Go unserer Lieblingsbäckerei – vor allem dann, wenn die Milch die Nacht überstanden hat, ohne schlecht zu werden.

CAMPING: WENIGER ZEUG, MEHR FREIHEIT

In einer Welt, in der Strom jederzeit aus der Steckdose, Wasser aus dem Wasserhahn fließt und uns die Auswahl im Kühlschrank eher überfordert als inspiriert, kann Camping uns neu kalibrieren. Jenseits von Selbstverwirklichung und -optimierung und dem Drang nach sozialer Anerkennung können wir hier lernen, die Erfüllung unserer Grundbedürfnisse wieder zu feiern, statt sie als selbstverständlich hinzunehmen. Wenn alles gut läuft, stellt sich dabei ein wunderbares Gefühl von Freiheit ein – wenn wir feststellen, dass wir auch mit weniger Zeug und Komfort gut zurechtkommen. Anfangs braucht es dazu vielleicht ein bisschen Überwindung. Oder zumindest den Blick in erwartungsvoll strahlende Kinderaugen, damit wir Maslows Theorien bewusst mal den Rücken kehren.

Camping, Glamping oder lieber Hotel – welcher Typ seid ihr? Was war euer schönster, was euer schlimmster Campingurlaub? Teilt eure Geschichten mit uns – als Kommentar oder direkt per Mail an [email protected]

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Fotos: Pexels / Josh Hild, Jens Johnsson

Ina ist digitale Nomadin und reist zu Wasser und zu Lande durch Europa. Dabei hält die Journalistin stets Ausschau nach besonderen Orten für Good Travel, philosophiert in ihrer Kolumne über das Reisen, fotografiert, musiziert und schreibt Artikel zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen aller Art.

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