Mit dem Fahrrad bis zum Nordkap
Man nehme den Sohn im Kleinkindalter, ein Fahrrad, den Willen, es von Deutschland in nur wenigen Monaten damit bis zum Nordkap zu schaffen und erhält die Geschichte von Jasmin Böhm. Die alleinerziehende Mutter ist mit Söhnchen Emil nun bereits zum vierten Mal auf Fahrradtour. Nach einer dreiwöchigen Testfahrt an den Bodensee vor einigen Jahren ging es anschließend nach Spanien, in die Türkei und nun hoch in den Norden. Wir haben mit der Autorin und Abenteurerin über ihre Reisen, das Verkehrsmittel Fahrrad, Begegnungen unterwegs und wieso der Weg sowieso immer das Ziel ist, gesprochen.
Nadine:
Du bist nun bereits zum vierten Mal mit deinem Sohn länger mit dem Fahrrad unterwegs, dieses Mal zum Nordkap. Was waren deine Beweggründe für diese Reise?
Jasmin:
Es war auf unseren bisherigen Reisen einfach so schön und mein Sohn und ich haben so gut zusammengefunden. Die Reisen waren ein krasser Kontrast zu unserem Leben vorher und ich konnte mir gar nichts anderes mehr vorstellen. Nach der Spanienreise haben wir uns deswegen auf den Weg in die Türkei gemacht. Da dachte ich dann „Okay, das ist das letzte Mal“, aber sobald wir wieder ein paar Monate zuhause waren, wollten wir auch gleich wieder los. Wir waren jetzt im Süden und im Osten und daher dachte ich, dass jetzt der Norden dran ist.
Nadine:
Kannst du sagen, welche bisher deine liebste Reise von allen war?
Jasmin:
Nein, ich denke nicht. Die waren alle so unterschiedlich, die kann man gar nicht vergleichen. Im Osten war die Landschaft zum Beispiel recht karg, aber die Menschen dafür so freundlich, was die Reise so toll gemacht hat. Hier im Norden sind die Menschen eher verhaltener, dafür ist die Landschaft einfach komplett überwältigend. Ich würde sagen, jede Reise hat ihre guten und schlechten Seiten.
Das Fahrrad als Verkehrsmittel
Nadine:
Wieso eigentlich das Fahrrad als Verkehrsmittel?
Jasmin:
Bei der allerersten großen Tour hatte ich den Impuls, ganz langsam und entschleunigt unterwegs zu sein. Am liebsten wäre ich einfach losgewandert, aber Emil war damals noch zu klein dafür. Da kam das Fahrrad ins Spiel. Wir haben dann zwischenzeitlich auch mal eine Reise mit dem Van gemacht, das war aber nicht das gleiche. Mit dem Fahrrad ist man einfach nonstop draußen und dieses langsame Vorwärtskommen und in der Natur sein, ist einfach großartig. Da kann die Autobahn nicht mithalten.
Nadine:
Ihr hattet dieses Mal ja teilweise ganz schön zu kämpfen – Wind, Wetter, eine verlorene Kamera. Was motiviert dich, trotz so vieler Herausforderungen weiterzumachen?
Jasmin:
Ich habe einfach so eine Gewissheit, dass alles wieder gut wird. Da ist so ein Urvertrauen da. Es sind oftmals ein bis zwei Tage, an denen nichts wirklich glatt läuft und dann passiert ganz plötzlich wieder etwas total Gutes. Dadurch, dass wir das schon so oft erlebt haben, lasse ich mich von Tiefpunkten nicht mehr so krass runterziehen. Ich erkenne sie schon an und bin in dem Moment auch sauer oder genervt, aber habe einfach Vertrauen, dass alles wieder wird. Sollte das allerdings Wochen so gehen, muss man sich natürlich fragen, woran es liegt und was man ändern kann. Das Ding ist aber, wenn man so lange auf Reisen ist, kann es nicht durchgehend nur gut sein. Viele verwechseln das mit einem Urlaub. Wir machen hier aber keinen Urlaub, sondern das ist unser Leben und im Alltag ist auch nicht immer alles zu jeder Zeit ausschließlich positiv.
Mit dem Kind auf Reisen
Nadine:
Dein Sohn ist auf jeder Reise mit dabei, du bist daher also nie wirklich alleine. Aber wie geht’s dir als einzige erwachsene Person alleine auf diesen Reisen?
Jasmin:
Manchmal habe ich am Weg mehr Leute kennengelernt, manchmal weniger. Hier in Norwegen hatte ich manchmal kaum Kontakt zu anderen Menschen. Da hat man dann viel Zeit zum Nachdenken und um sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Ich mochte das, denke aber auch, dass viele Leute genau davor Angst haben. Man wird dadurch meiner Meinung nach aber mental nur stärker und erreicht eine gewisse Ruhe.
Nadine:
Glaubst du, liegt es an der Weite des Landes oder an der Mentalität, dass du in Norwegen nicht so viel Kontakt zu Einheimischen hattest?
Jasmin:
Ganz sicher an der Mentalität. Man sieht schon immer wieder Menschen, aber die sind alle sehr respektvoll und höflich und lassen einen einfach sein Ding machen. Die wollen einen nicht stören. Die würden auch nie über dich meckern, sondern sind sehr entspannt. Aber sie kommen eben auch nicht zu dir und fragen dich, was du da machst. Einfach auch deshalb, weil die hier super viele Leute sehen, die Outdoor oder mit dem Fahrrad unterwegs sind und das für sie einfach nichts Besonderes ist.
Nadine:
Was sagt dein Sohn zu alledem? Wie geht’s ihm auf Achse?
Jasmin:
Der hat total Spaß und findet immer wieder was zu tun. Jeden Tag gewinnt er ganz viele neue Eindrücke und lernt extrem viel. Er ist auch gerade in einer Phase, in der er sehr viel fragt, das ist auf dieser Reise sehr auffällig.
Nadine:
Kommt manchmal Langeweile oder schlechte Laune bei ihm auf?
Jasmin:
Eigentlich nie. Einmal war ein Tag in den drei Monaten, an dem er gesagt hat „Boah, noch ein Berg, ich will da nicht hoch“, da war er echt genervt. Ich habe dann einfach irgendwelche Scherze über die Elche erzählt und dann hat er sich tot gelacht, dann war die Fahrt auch wieder cool.
Der Alltag beim Reisen
Nadine:
Wie viele Kilometer fahrt ihr durchschnittlich am Tag?
Jasmin:
Ich würde sagen etwa 50 Kilometer. Mal sind es 60 bis 70, mal nur 40, aber wir probieren meistens, die 50 zu schaffen.
Nadine:
Wie machst du das mit Arbeiten unterwegs? Funktioniert das gut?
Jasmin:
Ja das funktioniert, ist aber stressig. Das Fahrradfahren nimmt so viel Zeit in Anspruch, dass man dann abends oftmals nur noch schwer die Zeit und Motivation findet, etwas zu arbeiten. Ich denke mir dann aber halt, dafür können wir das hier machen. Von daher ist das auch voll fein.
Nadine:
Was konkret arbeitest du unterwegs?
Jasmin:
Ich schreibe viele Mails, bin viel im Austausch mit der Presse, handle die Vermarktung meines Buches, fülle meinen Instagram-Account mit Content und organisiere Veranstaltungen wie etwa meine Lesungen. Außerdem habe ich unterwegs einmal die Woche online Soziologie unterrichtet.
Nadine:
Was war dein bisheriges Highlight auf der Reise?
Jasmin:
Einerseits die ganzen Familien in Deutschland, bei denen wir über Instagram aufgenommen wurden. Ich bin mit allen heute noch in Kontakt. Andererseits natürlich sämtliche Tiersichtungen und die tolle Natur mit all ihren kleinen Momenten wie farbenfrohen Sonnenaufgängen und Sonnenuntergängen und idyllischen Wildcampingplätzen.
Nadine:
Es erfordert viel Mut, so eine Reise anzutreten. Was rätst du jenen, die auch gerne aus ihrem Hamsterrad ausbrechen möchten, vielleicht aber noch am Zweifeln sind, wie, wann und wo?
Jasmin:
Ich würde sagen, klein anfangen, in Deutschland zum Beispiel. Da gibt es viele tolle Fahrradwege. Ein weiterer Tipp für den Beginn wäre, nur Campingplätze anzusteuern und nicht wild zu campen, wenn man davor Angst hat. Und am Wichtigsten: Nicht auf die beste Ausrüstung warten, sondern einfach machen. Dadurch kommt dann auch der Mut.
Nadine:
Was nimmst du aus dieser Reise für deinen Alltag mit?
Jasmin:
Mein größtes Learning ist, dass man keine Erwartungen haben, sondern sich einfach überraschen lassen sollte, dass man frei von Gedanken ans Reisen und an die Menschen, die man dabei trifft, herantreten sollte, und dass das Alleine sein auch richtig schön sein kann.
Nadine:
Hast du bereits Pläne für deine Zeit nach der Reise? Hast du vielleicht schon die nächste Destination im Kopf?
Jasmin:
Wir wollen auf jeden Fall noch einen Sommer haben und werden surfen gehen, zwar nicht mit dem Fahrrad, aber auch wieder für einen längeren Zeitraum. Wir wollen auch nochmal eine Fahrradtour nächsten Sommer machen, vielleicht durch Kanada. Wir haben jetzt noch zwei Jahre, bis Emil in die Schule muss, die wollen wir voll ausnutzen.
In ihrem Buch „Hallo Glück, dich gibt’s ja doch!“ schreibt Jasmin über ihre letzte Fahrradreise nach Spanien und berichtet von allen Erlebnissen, die ihren Weg in den Süden mit Sohn Emil geprägt haben.
© Fotos: Jasmin Böhm
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Nadine Pinezits
Nadine ist freiberufliche Redakteurin und Texterin. Sie lebt in Österreich und pendelt zwischen Salzburg, der Steiermark und Wien. Sie ist somit entweder in den Bergen oder im Großstadtdschungel unterwegs, versucht aber gleichzeitig, so viel Zeit wie möglich in ihrem Herzensland Portugal zu verbringen.
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