INA WO(A)NDERS: ÜBERS ABSCHALTEN IM URLAUB
Den Alltagsstress hinter sich lassen und einfach mal abschalten: das wünschen sich viele von einem Urlaub. Gar nicht so einfach, findet unsere Autorin Ina – und springt ins kalte Wasser.
„Wo bist du mit deinen Gedanken?“
Erwischt biss ich mir auf die Unterlippe und senkte den Blick.
Eigentlich war der Plan perfekt gewesen. Inmitten eines Septembers, der vor Deadlines und neuer Projekte aus allen Nähten zu platzen schien, lauerte eine winzige Auszeit. 125 Seemeilen ohne Telefon und ohne Internetempfang. Vom goldstrandigen Süden Lanzarotes ging es in Teneriffas wilden, kluftigen Norden. Hier wartete eine kleine, vom Wind zerzauste Bucht, wohin sich kaum Urlauber, geschweige denn Mobilfunk-Strahlen verirrten. 48 Stunden lang würde ich den Laptop zugeklappt und das Handy ausgeschaltet lassen. Würde den Wellen beim Wogen zusehen, den Wind beim Streicheln der Segel belauschen und in der Nacht Sternschnuppen statt Wörter zählen. So der Plan.
Doch obwohl ich mich so auf diese Auszeit gefreut hatte, hatte ich Schwierigkeiten, abzuschalten. Die Wolken am Himmel jagten als Wortfetzen an mir vorüber. Eine innere Stimme raunte mir in Endlosschleife irgendwelche To-Do-Listen zu. Seemöwen kreischten mich vorwurfsvoll an, als müssten sie höchstpersönlich meine Arbeitspause ausbaden. Und in meinem Kopf lieferten sich Gedanken über essbare Insekten, Mischkultur im Ökolandbau, Naturkosmetik in Pulverform und einen frischgebackenen Reisepodcast ein wildes, aber aussichtsloses Gefecht. Ohne Gewinner und Verlierer. Von Abschalten: keine Spur.
Kein Wunder. In den letzten drei Wochen hatte ich das Segelboot, mit dem ich derzeit unterwegs bin, zu meinem Büro gemacht. Von außen sieht alles daran nach Urlaub, Auszeit und Abenteuer aus. Der Wind hat uns sogar einen aufblasbaren Sessel zugeweht, der jedoch viel zu selten zum Sonnenbaden, Cocktailschlürfen und quietschenden Ins-Wasser-Plumpsen genutzt wird. Mein Paddelboard lehnt die meiste Zeit lässig an der Reling und wartet vergeblich auf ausgedehnte Erkundungstouren. Die Yogamatte hat sich gelangweilt irgendwo in der Bugkabine zusammengerollt. Und meine Gitarre hatte ich zuletzt so selten in der Hand, dass sie wahrscheinlich einen Sonnenstich bekommt, wenn ich sie das nächste Mal aus dem Koffer nehme. Es ist also wenig überraschend, dass mir das Abschalten so schwerfiel. Denn auch ein schwimmendes Büro bleibt: ein Büro.
Welche Art Urlaub gerade am besten zu uns und unseren Bedürfnissen passt, kann von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat, von Woche zu Woche variieren. Umso verrückter eigentlich, wie lange im Voraus viele von uns ihre Reisen planen. Kann ich wirklich heute schon wissen, ob ich nächstes Frühjahr die nötige Energie für einen Städtetrip habe? Oder ob ich mich lieber in eine Berghütte zurückziehen, Kühen beim Grasen zusehen und ganz viel lesen möchte? Damit ein Urlaub uns das gibt, was wir brauchen, ist ein kleines Self-Assessment vor jeder Reise ratsam. Wie fit fühle ich mich? Sehne ich mich nach Ruhe und Rückzug? Brauche ich einen Tapetenwechsel? Bin ich bereit, mich in einem völlig neuen Umfeld zurechtzufinden? Oder ist die Ferienwohnung, in der ich schon so oft war, womöglich der beste Ort, um runterzukommen? Ist mir nach Inspiration, Kultur und Kopfsteinpflaster? Und brauche ich womöglich eine Beschäftigung, die meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, um den Alltag hinter mir lassen zu können?
In meinem Fall weiß ich jetzt: irgendwas mit Tapete wäre für meine Auszeit schonmal nicht verkehrt gewesen. Oder vielleicht eine Nacht im Zelt. Immerhin: nach Ankunft in Teneriffa hat sich meine Anspannung doch noch gelöst. Und zwar mit einem beherzten Sprung ins Wasser, wo eine andere Welt auf mich wartete. Nachdem ich bisher nur im überfischten Mittelmeer geschnorchelt war, konnte ich mich an den vielen Meeresbewohnern kaum sattsehen. Einige winzig und fast durchsichtig, andere ellenbogenlang und aufgedunsen. Die einen perfekt getarnt, die anderen exzentrisch gemustert bis fluoreszierend. Manche tanzten graziös an mir vorüber, andere huschten hektisch ihrem Schwarm hinterher, um ja nicht den Anschluss zu verlieren. Einige stupsten mich neugierig an, andere verharrten regungslos in einer Felsspalte und schienen mich misstrauisch zu beobachten. Da war sie, meine Auszeit. Nur einen Kopfsprung entfernt.
Hast du auch im Urlaub manchmal Schwierigkeiten, abzuschalten und den Alltag hinter dir zu lassen? Und wenn ja: was tust du dagegen?
Ich freue mich jederzeit über Feedback, Anregungen oder Fragen – gerne als Kommentar oder direkt per Mail an [email protected].
© Fotos: Ina Hiester, Pexels / Leonardo-Lamas
Ina Hiester
Ina ist digitale Nomadin und reist zu Wasser und zu Lande durch Europa. Dabei hält die Journalistin stets Ausschau nach besonderen Orten für Good Travel, philosophiert in ihrer Kolumne über das Reisen, fotografiert, musiziert und schreibt Artikel zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen aller Art.
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