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Wildcamping in Schweden

Wildcamping in Schweden

Ein Gastbeitrag von Regine Glaß

Der Sommer in Schweden ist mit 100 Tagen eher kurz, dafür aber intensiv und wunderschön. Wer rote Schwedenhäuser, Flora und Fauna, Land und Leute wirklich erleben will, der sollte nicht nur in den sehenswerten Großstädten Stockholm, Malmö und Göteborg Halt machen, sondern raus in die Weiten des knapp 550.000 Quadratmeter großen Landes mit nur 10 Millionen Einwohner:innen. Helle Nächte, Baden in Waldseen, Blaubeeren pflücken – und warum nicht auch einmal ein Wanderausflug in ein bergiges Naturreservat? Zusammen mit meinem Partner habe ich mich auf eine abenteuerliche Reise an einen der Drehorte der Verfilmung des Astrid Lindgren Buches „Ronja Räubertochter“ begeben, dem Sörknatten Naturreservat in Dalsland.

Anreise von Göteborg oder Åmål

Die Anreise in die Region Dalsland ist mit dem Auto, Zug und Fahrrad oder mit dem Paddelboot über den Dalslandkanal möglich. Die Westküstenstiftung empfiehlt, sich für die Reise ohne eigenes Fahrrad an Dalsland Experience zu wenden, bei denen Fahrräder ausgeliehen und geführte Touren gebucht werden können. Wer mit Fähre, Zug, Auto, Bus oder Flugzeug aus Deutschland in die Metropole Göteborg anreist, kann am besten eine zweistündige Zugreise nach Åmål unternehmen, von dort aus ist die Reise zum nächsten Lagerplatz zum Sörknatten Naturreservat mit dem Fahrrad nur noch etwa 1,5 Stunden lang. Die komplette Anreise aus Göteborg mit dem Fahrrad würde etwa 9 bis 10 Stunden dauern. Mit dem Auto kommt man auf jeden Fall auch auf abenteuerliche Weise durch die durchwachsenen Landstraßen, sieht Schafe und Kühe weiden, fährt an den für Schweden sehr typischen, lilafarbenen Lupinen vorbei.

Guten Morgen Schweden
Dalsland See
Dalsland See
Unterkunft
Unterkunft bis zu 5 Personen

Kostenlos oder sehr günstig übernachten dank schwedischem „Jedermannsrecht“

Natürlich ist es auch möglich, sich eine Hütte, auf Schwedisch stuga genannt, in Dalsland zu mieten. Wer es abenteuerlicher und kostengünstiger mag, hat jedoch noch zwei andere Möglichkeiten: Zum einen kann man sich mit einer Zeltausrüstung auf den Weg begeben und vom schwedischen „Jedermannsrecht“ profitieren – einem Gesetz, das besagt, dass man auf privatem Grund jeweils eine Nacht übernachten darf. Zelt aufschlagen sowie Beeren, Pilze und Blumen pflücken ist erlaubt. Wer lieber ein Holzdach über dem Kopf haben möchte, aber ein kleines Budget und große Abenteuerlust hat, für den gibt es noch eine andere Möglichkeit, die ich für Good Travel getestet habe: Mit dem Erwerb einer Karte für 60 SEK pro Person und Nacht (umgerechnet etwa 6 Euro) kann man an allen, auf der sogenannten Naturpflegekarte ausgezeichneten Lagerplätzen übernachten. Die Lagerplätze bestehen mal aus einem Lager mit Tür, mal einer einfachen Windschutzhütte aus vier Wänden mit Dach. Zur Verfügung stellt sie ein gemeinnütziger Verein aus Kommunen, Kanuverleihern und Grundbesitzern am Dalslandkanal, Dalslandsnordmarken (Dano) genannt. Einen bestimmten Platz kann man mit der Karte allerdings nicht reservieren. Wer sein Quartier partout nicht mit anderen Paddlern und Reisenden am Dalslandkanal teilen möchte, muss sein eigenes Zelt mitbringen. Für Kinder unter 12 Jahren ist die Übernachtung kostenlos.

Die Anreise mit dem Fahrrad oder Boot ist empfehlenswert: An der Einfahrt zu unserem gewünschten Lager, in Östersbyen an einem klaren See namens Ärr in der Nähe des Sörknatten-Naturreservates, empfing uns eine Schranke. Nun hieß es: Auto stehen lassen und huckepack – Proviant auf einem kleinen Waldspaziergang am Ufer entlang tragen. Mit dem Fahrrad wäre sie zu umgehen gewesen.

Im nicht zu schweren Gepäck sollten auf jeden Fall genügend Wasser und Proviant sein, denn inmitten der schwedischen Natur sind Gastronomie und Supermärkte kilometerweit entfernt. Dafür ist man ungestört, ganz für sich – und trotz meist sehr guter Netzanbindung eignet sich das schwedische, menschenleere Land ideal für eine onlinefreie Zeit. Nach einem kurzen Spaziergang erreichten wir den Holzverschlag, der uns in der Nacht Schutz bieten sollte. Er war mit einer Feuerstelle und mehreren Bänken und Tischen ausgestattet, in wunderschöner Lage, direkt mit Blick auf den See. Die Herberge selbst besteht aus simplem Holzlatten, auf denen es sich mit Isomatte und Schlafsack gut schlafen lässt und durch ein Fenster lassen sich die späten, intensiv-rosafarbenen Sonnenuntergänge der Mitternachtssonne am See betrachten.

Frühstück an der Feuerstelle "Großer Strand"

Entspannung am „Großen Strand“ beim Baden im Ärr-See und am Lagerfeuer

Nachdem man nach einer Tour im Auto, Zug oder Fahrrad ganz schön ins Schwitzen gekommen ist, tut ein kühles Bad gut. Wir stellten unsere Rucksäcke samt Proviant entspannt im Lager ab, das sogar mit einer Ökotoilette, einer in Schweden oft anzutreffenden Kompost-Toilette, ausgestattet ist. Dann geht es ab in den kühlen Waldsee, dessen Temperaturen im Sommer bei um die 19 Grad liegen. Nach der Abkühlung tut ein warmer Imbiss gut – an der Feuerstelle bereiten wir vegetarische Köttbullar, Hackfleichbällchen aus Soja und vegane Chorizo zu. Dazu gibt es klassischen, schwedischen Kartoffelsalat mit Dill, weil die Reise zu Midsommar, der Feier der Sommersonnenwende, statt fand. Wer es noch ursprünglicher mag, findet am Lagerplatz auch vorbereitetes Feuerholz vor, und kann mit Ästen Würstchen oder Stockbrot grillen. Wenn die Sonne einfach nicht untergehen will, möchte man sich gar nicht schlafen legen. Nach dem Aufwachen wird noch einmal im See gebadet, bevor es zum Sörknatten Naturreservat weitergeht.

Zweite Station: Auf den Spuren Ronjas in Sörknatten-Baståsen

Die schwedische Autorin Astrid Lindgren hat das Interesse am größten Land im Norden in Deutschland geweckt. Doch nicht nur mit den Büchern sind viele aufgewachsen, vor allem die Verfilmungen haben das Schwedenbild international geprägt. Einer der schönsten Filme für den Sommer ist die Geschichte der wilden Ronja Räubertochter. Es geht darin um die Tochter eines Räuberhauptmannes, die mit ihm und ihrer Familie im „Mattiswald“ auf einer Räuberburg wohnt – zumindest so lange, bis sie sich mit dem Sohn der verfeindeten Familie Borka, Birk Borkasohn, anfreundet. Die beiden Kinder ziehen daraufhin aus der Burg ihrer streitenden Eltern zusammen in eine Höhle im Wald. Räuberfestung und Mattiswald gibt es nicht – und doch kann man in Westschweden auf Ronjas Spuren wandeln gehen. Gedreht wurde der Film nämlich teilweise im Sörknatten Naturreservat in der schwedischen Landschaft Dalsland, nahe der norwegischen Grenze. Und ein Ausflug dorthin lohnt sich, nicht nur für Astrid Lindgren-Fans, sondern vor allem für Outdoor-, und Wanderfans!

Die Berge in Sörknatten sind mit bis zu 142 Metern über dem Meeresspiegel nicht besonders hoch, dafür ist die in Schweden einzigartige, karge Felsenlandschaft bisher, trotz ihres berühmten Einsatzes, noch ein echter Geheimtipp. Das Tal mit geheimnisvollen Schluchten und Pfaden, an deren Wegrändern bunte Feldblumen blühen, und von dessen höchstem Berg man auf blaue Seen blickt und am Horizont Schwedens größten See, Vänern, wie ein Meer bereits erahnen kann, eignet sich hervorragend für eine Tagestour, die man mit einem Urlaub im schönen Dalsland verbinden kann. Sie ist insgesamt etwa 6 Kilometer lang. Für absolut Untrainierte ist die Wanderung trotz der Kürze nicht zu empfehlen, denn statt geraden Wegen geht es über teilweise steile, glatte Steine und unbefestigte Wege. Festes Schuhwerk ist also ein Muss. Ist man jedoch am Gipfel angekommen, ist die Aussicht wunderschön, ob man den Film gesehen hat, oder nicht. Die Drehorte sind auf den ersten Blick nicht sofort erkennbar, aber wer sich gut erinnert, entdeckt die Stelle, an der Ronja sich mit ihrem Vater versöhnt. Am Horizont, über den Bergen, tut sich eine blaue, meeresähnliche Linie auf, die sich als Vänern-See entpuppt. Der über 5.500 Quadratkilometer große See ist nicht nur der größte See Schwedens, sondern auch der größte der Europäischen Union und in Westeuropa.

Auf dem Gipfel ist Fika-Zeit, das schwedische Kaffeetrinken mit Zimtschnecken und/oder mitgebrachten Broten. Neben Kaffee und Proviant sollte man genügend Wasser für die rund vierstündige Wanderung mitnehmen, und am besten, wie in Schweden üblich, eine Sitzunterlage. Die Wege in das Naturreservat sind gut ausgeschildert, wenn man jedoch vom Wege abkommt, kann die schwedische Wildnis mit einem echten Abenteuer überraschen: Umschwärmt von Mücken entdecken wir einen großen Schädel und einen Knochen, die vermutlich von einem Elch stammen. Mit einer Höhe von knapp zwei Metern ist der Elch das größte Tier Schwedens, hat keine natürlichen Feinde mehr, deshalb gibt es 240.000 bis 360.000 Tiere im Sommer. Es gehört also gar nicht so viel Glück dazu, dem wohl bekanntesten Tier Schwedens auch lebend zu begegnen. Und doch sehen wir auf unserer Tour keinen lebendigen Elch, sondern ein Wildschwein, von dem wir uns respektvoll entfernen, Kraniche, die wir bewundern und Mücken, gegen die wir uns mit natürlichem Mückenöl aus Zitrone schützen.

In Sörknatten
In Sörknatten
Verena auf dem Zeltdach
Verena auf ihrem Zeltdach

Dritte Station: Traumhafte Chilloase Campingplatz Fengersfors

Im Sörknatten Naturrervat selbst kann man nicht übernachten, deshalb ging es auch nach der Wanderung weiter zu einem Windschutz, der zu Dalsland Nordmark gehört. Malerisch gelegen an einem See in Fengersfors, an dem es sich bereits einige deutsche Urlauber:innen bequem gemacht hatten. Eine von ihnen ist Verena Mehlfeld. Die Münchnerin schläft zwar selbst in einem Zelt auf ihrem Auto, ist aber schwer beeindruckt von der skandinavischen Erfindung der Windhütten. „Ich würde definitiv auch da drin übernachten. Das ist eine tolle Erfindung und erinnert mich ein bisschen an die Schutzhütten, die wir in Bayern haben. Darin kann man jedoch nicht übernachten. Für so ein Lager bezahle ich definitiv gern das Geld!“ Deutsche können die Karte mit Paypal bezahlen, in Schweden wohnende mit der App Swish. Eine E-Mail reicht als Bestätigung, so dass Besucher:innen auch noch spontan vor Ort ein Ticket kaufen können. Zwischen den dichten Nadelbäumen lässt es sich gut in der mitgebrachten Hängematte chillen und im klaren Wasser des Sees kann man anders als an vielen anderen Badestellen in Schweden, in denen es meist mit einer Leiter ins Wasser geht, langsam über Sandstrand in das kühle Nass laufen.

Quinoa Salat im "not quite"
Smultron-Semla
Gelände Bruket
Kunstinstallation im Bruketgelände
Kunstinstallation im Bruketgelände

Vierte Station: “Not quite” in Bruket

Wer nach so viel Outdoor-, Bade- und Wanderabenteuer Lust auf etwas mehr urbanes Leben hat, für den lohnt sich ein Aufenthalt im „Bruket“, einer ehemaligen Papierfabrik, in Fengersfors. In mitten des ländlichen Dalslands, findet sich in der ehemaligen Industrieanlage heute ein Kunsthof aus Café, Bäckerei, Museum und einem herrlichen Garten zum Entspannen. Das Café “not quite” wird seit 2021 von den beiden belgischen Schwestern Evi und Mieke Renders geführt. Gekocht und gebacken wird von Evi, die bereits in Belgien lange als Köchin tätig war. Im Café bereitet sie aus schwedischen Spezialitäten wie wilden Walderdbeeren (Smultron auf Schwedisch) eine spezielle Variante des typisch schwedischen Gebäcks Semla, vergleichbar mit Windbeuteln, zu. Außerdem gibt es unter anderem Gerichte mit Lachs, Quinoa und frischem Salat. „Ich versuche, so wenig wie möglich CO2-Fußspuren mit meiner Küche zu hinterlassen”, erklärt die Köchin, “deshalb arbeiten wir soviel wie möglich mit lokalen Anbietern. Aber bei Zutaten wie Tofu ist das natürlich nicht möglich.” Nach Schweden hat Evi die Natur gelockt, ebenso wie die Werte, die sie auf dem schwedischen Land erlebt hat. Work-Life-Balance, ein großes Vertrauen in einander und das Leben in wundervoller Natur entsprächen ihr sehr. Von der lokalen Bevölkerung seien sie auch freundlich aufgenommen wurden, schließlich sei Fengersfors ohnehin schon ein Dorf, in dem viele Zugezogene wohnen.

Den nächsten lokalen Anbieter hat das Café gleich nebenan: Die Bäckerei “Brukets godaste” bäckt kompaktes Brot, das dem deutschen ähnelt, Brötchen sowie dalsländische Spezialitäten. Zu den besten Kund:innen, erzählt Bäckerin Lisa Malm, gehören deutsche Tourist:innen, die es sich auch im Urlaub nicht nehmen lassen, morgens ihre Brötchen zu holen. Aber wegen des guten Brotes aus dem Steinofen reisten auch die Nachbar:innen aus den anliegenden Dörfern an und “Brukets godaste” versorgt sogar mittlerweile die nahe gelegenen Supermärkte mit Brot.

Doch nicht nur geschlemmt und gekauft wird im “Bruket”, auch der Hunger nach Kultur kann gestillt werden. Zur Geschichte des Gebäudes kann man sich in einer erhaltenen Produktionshalle informieren, zudem beherbergen weitere Gebäude das Geschäft einer feministischen Goldschmiedin, moderne Kunst und im Garten befindet sich momentan das “Homografische Museum”, in welchen lokale, queere Künstler:innen Lyrik und Fotos ausstellen.

Auch wenn unsere Reise nur ein dreitägiges Mittsommarwochenende lang war, hat sie unsere Augen für die Schönheit Dalslands noch einmal geschärft. Und wer Zeit, Kraft und Lust mitbringt, kann die komplette Windschutzkarte Dalslands abwandern.

Gründerin Lisa Malm
Gründerin Lisa Malm
not quite
Installation außerhalb der "not quite"- Caféwand
Regine Glass

Regine Glass ist freie Journalistin, Autorin und Übersetzerin von schwedischer Sprache und Kultur ins Deutsche. Seit 2020 lebt sie in Göteborg und hat somit Meer und Metropole an der schwedischen Westküste vor der Haustür.

Das wichtigste Anliegen der Feministin ist Chancengleichheit für alle, deshalb schreibt sie für Tageszeitungen, Blogs und Magazine über Ungerechtigkeiten, (nachhaltige) Stadtentwicklungen und sprachliche Gleichberechtigung auf Schwedisch, Deutsch und Englisch. In Reiseblogs, Magazinen, ihrem Newsletter „Aus Versehen Schweden“ sowie sozialen Medien gibt sie auch gern mal Tipps für Reisen und Ausflüge ohne viel Geld.

 

 

 

 

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