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no more flights

Ohne Flieger in die Ferne reisen

Ein Gastbeitrag von Luise Müller, Mitgründerin von NoMoreFlights

Es gab nicht viele gute Nachrichten in den letzten 17 Monaten. Aber zu den vereinzelten Lichtblicken für mich gehörten definitiv Bilder von Großstädten, die zum ersten Mal seit Jahrzehnten smog-frei waren; erstaunliche NASA-Daten über eine historische Luftqualität mit einer Reduktion von 60 Prozent an Treibhausgasen. Auch die News, die von einem 39 Prozent Anstieg des Nestbaus der stark gefährdeten Karettschildkröte an Floridas Stränden berichtete, gehörte dazu. Schließlich ein Corona-bedingt lahmgelegter Flugverkehr und ausbleibender Massentourismus, die die Natur mal wieder aufatmen ließen.

Die Coronakrise ließ die Natur seit langem mal wieder aufatmen

Das sind alles so gute Nachrichten, dass es ganz schön heavy wäre, diese Fortschritte nun einfach wieder ungeschehen zu machen. Mich jedenfalls beschleicht das pure schlechte Gewissen und ich frage mich, ob es nicht besser wäre, weiterhin zuhause zu bleiben anstatt sich wieder auf Reisen zu begeben.

„Stay at home“ anstelle von Reisen also?

Aber nein, natürlich ist dies kein Artikel gegen das Reisen. Reisen ist fundamental wichtig. Nicht nur für die persönliche Erholung und Inspiration, auch für das globale Miteinander. Das Reisen bringt uns näher zu anderen Kulturen, Lebensweisen, Sichtweisen. Es verwischt Grenzen und vermischt Ansichten. Und es wäscht uns den Kopf und zeigt uns, wie engstirnig Nationalismus ist.

„Reisen macht uns bescheiden. Man erkennt, welchen kleinen Platz man in der Welt besetzt.“  – Gustave Flaubert

Angekommen auf der griechischen Insel Lesbos

Bewusstes Reisen pumpt uns voll mit einzigartigen Erinnerungen

Bewusstes, richtiges Reisen tut all das, pumpt uns voll mit einzigartigen Erinnerungen. Es entlässt uns zurück in unseren Alltag, ein bisschen entspannter, gebräunter und wissender. Nachhaltiges Reisen ist eine Form des Reisens, die unseren Entdecker:in- und Erlebnisdrang mit dem Bewusstsein vereint, dass wir eine Verantwortung für unsere Umwelt haben. Diese Verantwortung bleibt auch und gerade in unserer Freizeit bestehen. „A New Normal“ des Reisens also.

Die lange Reise nach Lesbos auf dem Land- und Seeweg

Mein Freund und Kollege Hannes hat sich letztes Jahr für genau solch eine Form des Reisens entschieden. Anstelle sich ein schnelles Flugticket zu klicken, machte er sich in seinem Sabbatical im Januar 2020 auf den langen Land- und Seeweg auf zur griechischen Insel Lesbos.

Als Hannes auf Lesbos ankommt, um seine Arbeit im Refugee Camp anzutreten, haben er und seine Freundin eine lange, aufregende Reise hinter sich: 14 Stunden mit ICE und Nachtzug von Berlin über München nach Venedig; anderthalb Tage Überfahrt mit dem Schiff von Venedig zur griechischen Hafenstadt Pakra; drei Stunden Fahrt bis zur griechischen Hauptstadt; eine kurze Metro-Fahrt von Athen in die Hafenstadt Piräus und eine Nachtfahrt mit der Fähre nach Mytilini auf Lesbos. Allein die Auflistung der vielzähligen Stopps macht mich ganz müde. Doch wenn Hannes von der Reise erzählt, erzählt er nicht von Erschöpfung oder Anstrengung.

Die vielen Zwischenstopps laden zur Entschleunigung ein

Stattdessen erzählt er von kuscheligen Nachtzügen der Österreichischen Bundesbahnen, die eigentlich die alten ausgelagerten Nachtzüge der Deutschen Bahn sind. Er schwärmt von der erzwungenen Entschleunigung auf der Schifffahrt nach Griechenland, bei der er in der Koje wunderbar schlafen konnte. Abgesehen davon, gab es hier so wenig zu tun, dass er mit nichts als dem Meer in Sicht ein Buch zu Ende lesen konnte. Er erinnert sich an den malerischen Ausblick auf der Zugfahrt nach Athen entlang des Golfs von Korinth und des Golfs von Megara. Und spricht vom nächtlichen Kartenspielen auf dem Deck bei der Fährüberfahrt zur letzten Insel, die die EU von der Türkei trennt – und auch vom mulmigen Gefühl, sich in denjenigen Gewässern zu befinden, in denen so viele Asylsuchende ihr Leben riskieren. Schließlich erzählt er davon, wie wichtig es ihm war, sein Ehrenamt auf Lesbos nicht mit einem Treibhausgas-schweren Flug zu starten.

Mit der Fähre nach Griechenland überfahren
Der Sonne über dem Meer beim Untergehen zusehen

Sein Ehrenamt wollte Hannes nicht mit einem Treibhausgas-schweren Flug beginnen

Dem International Panel on Climate Change (IPCC) zufolge ist die Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5°C bereits kaum noch einzuhalten. Das Minimalziel ist dementsprechend, dass jede:r von uns nur noch eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr verursacht, um das Auslösen irreversibler Klima-Kipppunkte zu verhindern. Ein:e durchschnittliche:r Deutsche:r trägt derzeit jedoch das 10-fache bei. Fliegen ist bei Weitem nicht die einzige Ursache von Treibhausgas-Emissionen, aber es birgt ein immenses Einsparungspotenzial für den individuellen „CO2-Konsum“ eines Menschen. So emittiert ein Hin- und Rückflug von Berlin nach Lesbos allein 990 Kilogramm CO2 pro Passagier und nimmt damit einen Großteil des fiktiven Jahresbudgets ein (Quelle: atmosfair.de). Es verwundert daher nicht, dass Flugreisen zunehmend kritisch hinterfragt werden, vor allem auf kurzen Strecken, für die es einfache Landweg-Alternativen gibt. Hannes blickt zwar nicht auf eine anstrengende Fernreise zurück, wohl aber an eine ermüdende Recherche, die länger dauerte als die 3-Tages-Reise selbst.

Inspiration beim Feierabendbier

Damals erzählt er Dom und mir bei einem Feierabendbier, wie lange seine Freundin und er verschiedenste Optionen hin- und her wälzten, Preise verglichen und mühsam von einem Buchungsportal zum nächsten klickten – und sich mehrmals fragten, ob ihnen die Umwelt wirklich so wichtig ist (natürlich war sie das und sie gaben nicht auf).

Wir waren beeindruckt vom Durchhaltevermögen und dankten ihrem Einsatz mit einem Bier. Schließlich fragten wir uns, was wir tun könnten, damit die Planung von nachhaltigen Reisen keine Qual bliebe. Und so entstand an diesem Abend die Idee für NoMoreFlights.com, einer Reiseplattform, die zu Landreisen inspiriert.

Luise, Mitgründerin von NoMoreFlights, im Zug
Dom ist der andere Co-Gründer der neuen Reiseplattform

NoMoreFlights möchte zu Landreisen nach dem Slow-Travel-Prinzip ermutigen

Auf NoMoreFlights können Reisende mit wenigen Klicks ihre Urlaubserfahrungen veröffentlichen, Bilder teilen und Tipps zu Preisen und Routen geben und so andere inspirieren, einen Urlaub ohne Flug auszuprobieren. Die Plattform existiert für Hannes und Gleichgesinnte, die ihre Reiseerfahrungen mit kleinem Fußabdruck teilen wollen und für diejenigen, die neugierig sind, diese Art des „Slow Travels“ auch einmal zu erkunden.

Eine community-basierte Plattform, die zum New Normal des Reisens beiträgt

So kann jede:r zu einem New Normal des Reisens beitragen und bewusst CO2 einsparen. Neben Hannes’ Reiseeintrag finden sich mittlerweile viele weitere Urlaubsideen, zum Beispiel eine Radtour nach Kopenhagen, eine Zugreise bis in die Schottischen Highlands oder eine Fahrt mit dem Nachtzug an den kroatischen Strand.

Uns ist bewusst, dass es mit dem Vermeiden von Flugreisen nicht getan ist. Für die Rettung unserer Welt, wie wir sie kennen und lieben, ist ein grundlegender Systemwechsel von Industrie und Politik nötig. Dennoch können wir alle durch mehr Bewusstsein beim Reisen einen kleinen Beitrag leisten, der noch dazu ein intensivere, schönere Reiseerfahrung mit sich bringen kann. Wir glauben an die Entschleunigung und daran, dass wir manchmal etwas länger brauchen, um bewusst in einer neuen Realität anzukommen. Das gilt auch für das Reisen von einem Fleck der Welt zum anderen.

Mehr Informationen zum Projekt und alle anderen Landreisen findest du auf NoMoreFlights.com

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